WORST OF THE WORST

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(Gute Platten kann jeder) – Vol. 13

GG ALLIN

Ganz unten und dann auch noch drunter. Ja doch, das alte Erdferkel hat auch gute Platten gemacht, selbst wenn das einige hier sicher, vor allem aber mit festbetonierter Vehemenz, anders sehen, bis man ihnen etwas aus dem reichhaltigen Œuvre seines Frühwerks untermogelt, um auf Rückfrage sein süffisantestes Lächeln für die Antwort aufzusetzen.


Die Zahl der Hits, die GG zwischen 1979 und sagen wir 1987 veröffentlicht hat, reichen über den Daumen gepeilt für gute dreieinhalb Musikerleben. Neun Jahre, in denen mindestens doppelt so viele Bands verschlissen und ein Weg eingeschlagen wurde, den man entweder konsequent zu Ende gehen oder aber irgendwann nur noch kostümiert als Eigenpersiflage auf die Bühne bringen konnte, um wenigstens die fünfzig zu erreichen. Wie wir wissen, hat die alte Kackbratze den letzteren Weg gewählt, sich irgendwann nicht mehr allzu oft geduscht und es unter dem Motto „Live fast, die halbwegs young, aber dafür ziemlich verbraucht“ durchgezogen. Entgegen vieler gebetsmühlenartig wiederholter schlechter Zweitmeinungen, die sich durch Hörensagen, bestimmt verlässliche Internetquellen und das Lesen schlecht kopierter Hefte in den Köpfen festgesetzt haben, berichten echte Zeitzeugen häufig anderes.

Bei GG Allin konntest du damals etwas bestellen und die Sachen kamen an, ganz im Gegensatz zu mancher Hardcore-Band, die heute kurz vor der Heiligsprechung steht. Briefwechsel waren zuverlässig und auf Augenhöhe. GG machte keinen Unterschied, er hasste alle gleich konsequent und war zu denen eloquent, die aufgeschlossen und unvoreingenommen waren. Liest man seine zahlreichen Leserbriefe in alten Maximum Rocknroll-Ausgaben oder sein im Knast verfasstes Tagebuch, kommt man irgendwie nicht umhin, dass der Typ zwar nicht unbedingt alle Latten am Zaun, aber eben mehr im Hirn hatte, als man sich in der kurzen Zeit wegsaufen konnte. Spätestens bei „Hated“ wurde klar, dass er sich zwar gerne prügelte, aber eben nie mit Fotografen und Menschen, die eine Filmkamera dabeihatten. Nicht wahr? Nenne mir eine einzige Band oder nur einen einzigen Musiker im Punk, von dem es ähnlich viele Live-Videos gibt. Ich warte! Na? Okay, ich habe Zeit. Nein, die Qualität der Aufnahmen ist nicht entscheidend! Dir fällt niemand ein? Mir auch nicht, denn auch wenn manche Performances gerade mal vier Songs umfassten, war GG Allin klar, wie wichtig die Dokumentation des Happenings war.

Nein, er war ganz sicher kein Unschuldslamm, auf der anderen Seite hat er allerdings auch niemandem vorgemacht, dass er eigentlich ja ein ganz Netter wäre. Über GG Allin, den Mann mit dem sehr kleinen Schniepel, müssen wir nicht großartig diskutieren, da sind die Fronten zwischen Nord- und Südkorea leichter zu überwinden. Wer was von ihm hält oder auch nicht, wir können uns auf „nicht ganz dicht“ allemal einigen. Und komme mir jetzt keiner mit „schwerer Kindheit“, sein Bruder Merle ist ja auch einigermaßen normal geblieben und geht problemlos als Mensch durch.

Der leidenschaftliche Leserbriefschreiber hat auf der Habenseite einige Platten, die andere in 257 Jahren nicht hinbekommen würden. Bei den Frühwerken unter anderem die „Always Was, Is And Always Shall Be“, „Eat My Fuc“, das ROIR-Tape und bei den Spätwerken die beiden herrlich stumpfen und brutalen Platten mit ANTISEEN beziehungsweise mit den MURDER JUNKIES, letztere in Don Furys Studio aufgenommen, der ebenfalls nur lobende Worte fand. Im Gegensatz zu manch anderer Band sind sogar die meisten seiner offiziellen Live-Platten besser als ihr Ruf, selbst wenn sie wegen einer Schlägerei mit dem Publikum in voller Länge auf eine 7“ passten.

Zwischen 1987 und 1991 liegen durchaus finstere Jahre, die, wie alle seine Veröffentlichungen, stets von der Qualität seiner Backingband abhängig waren. Gute Musiker verschliss GG reihenweise, unter anderem wagten sich Leute wie J. Mascis (DINOSAUR JR.), Wayne Kramer und Dennis Thompson (MC5), Dee Dee Ramone und einige andere mit ihm in geschlossene Räume.

Zur Sache: Sieht man vom posthumen Exploitationwerk ab, muss man sich ausgerechnet für die beiden Homestead-LPs schon etwas „zwingen“. „You Give Love A Bad Name“ mit den HOLY MEN ist ein weiteres Armutszeugnis für das Label Homestead, denn immerhin spielt hier ausgerechnet Gerard Cosloy mit, der der Eigentümer des Labels war. Warum man dann als Mann vom Fach ausgerechnet am Studio spart, das derart mies klingt, ist ebenso mysteriös wie die unpassenden Gitarrensoloeinlagen, die Cosloy vom Leder zieht. Dummerweise sind hier auch ein paar Hits drauf, die von der $39.99-Produktion aber dermaßen in den Keller gezogen werden, dass das Wissen darum, hier eine weitere LP auf dem Level von „Brutality And Bloodshed For All“ versaubeutelt zu haben, der eigentliche Schmerzpunkt ist. Andere entschuldigen sich kleinlaut für ein verstecktes Charles Manson-Cover, GG Allin spuckt mit Anlauf auf Gänse und Rosen, weil er mit Charly ohnehin Briefschach spielte.

Selbes Label, andere Band, nur ein Jahr später: „Freaks, Faggots, Drunks & Junkies“, die er zusammen mit BULGE eingespielt hat, ist erneut dermaßen unfähig aufgenommen, dass selbst gute Songs nach billigstem Hippie-Studio klingen. Band und Sänger wurden in getrennten Räumen gehalten, damit es nicht so laut wird. Dünne Produktion, viele Songs, die selbst GG live nicht performen wollte, ein hörbar defektes Mikrofon – wo immer das vorher auch steckte –, darunter ein paar Perlen, die einem Rudel Schweinen zum Opfer gefallen sind. BULGE waren Charlie Infection (PSYCHO, CANCEROUS GROWTH), Ed Lynch (PSYCHO) und Mark Sheehan (OUT COLD), die mit ihren anderen Bands durchaus gutes Material abgeliefert haben. Die LP hätte definitiv besser klingen können, wenn man nur 100 Dollar mehr in ein besseres Studio investiert hätte, was die „Legalize Murder“-7“, die auf dem kleinen Ax/ction Records-Label von Charlie Infection in exakt derselben Besetzung eingespielt wurde, mühelos belegt.

Selbst für GG Allin-Verhältnisse richtig unwürdig ist die zu Lebzeiten erschienene GG ALLIN AND THE MURDER JUNKIES-7“ „Watch Me Kill“. Die MURDER JUNKIES in der allerersten Inkarnation, erneut mit Mark Sheehan und zwei nicht näher bekannten Fleischmarionetten. Intro von GGs Anrufbeantworter, dann sechs Songs ohne Wiedererkennungswert, die ohne Federlesens in einem feuchten Keller vor einem Kofferradio runtergeprügelt wurden, um sie dann direkt ins Presswerk zu schicken.

Geht nicht schlimmer? Geht sehr wohl noch schlimmer, sogar mit Vierspur-Aufnahmen (holla, welch Luxus). GG ALLIN & SHRINKWRAP mit „War In My Head – I’m Your Enemy“ schließlich ist das Unhörbarste von Kevin Jesus Christus. Der Titel ist Programm, mit einer knapp 42-minütigen zusammengeschusterten Jam-Noise-Jazz-Performance, zu der GG Allin abwechselnd Weisheiten und seine Zahnschmerzen unter Zuhilfenahme möglichst vieler lustiger Effekte deklamiert, die man in der CD-Version als durchgehenden Track ohne Skipmöglichkeit genießen darf. Unhörbarer Mist von jemandem, der sich just in diesem Moment offenbar für einen großartigen Philosophen, Performancekünstler und unsterblich hielt, wo GG doch eher Handwerker als „Künstler“ war. Bandmitglieder? Die werden nachvollziehbar unterschlagen. Hits gibt es nicht mal ansatzweise, auch keinen, bei dem man sich auf eine verhunzte Aufnahme oder die schlechte Bandperformance einigen könnte, obwohl die Gitarre durchgehend im Nachbarhaus vor sich hin gniedelt. Mal ernsthaft, wer will schon GG beim Deklamieren hören, wenn man ihn stattdessen im Fistfight mit ein paar Idioten haben kann, die im Zoo auch gerne mal die Löwen streicheln? Immerhin sind die Fotos im Booklet von niemand anderem als Richard Kern und der Text im Booklet ist das krude Vermächtnis.

Meine Fresse, ist die „War In My Head“ schlecht. Warum die inzwischen mehrfach wiederveröffentlicht wurde, lässt sich nur mit hemmungsloser Leichenfledderei rechtfertigen. Wer sich in weitere Untiefen vorwagen möchte, dem empfehle ich eine der zahlreichen posthumen Live-Platten des letzten großen Barden aus New Hampshire. Aufnahmen, für die sich selbst so mancher Bootlegger zu schade gewesen wäre. Das ist meistens Müll, den GG schon zu Lebzeiten nur mit einer Kohleschaufel angefasst hätte, und der Mann hat wohlgemerkt Songs veröffentlicht, bei denen er die Vocals übers Telefon aus dem Knast eingesungen hat.

Ja, ich hätte mir das live angesehen, im Publikum, gefahrlos direkt am Rand der Bühne mit Fotoapparat. GG wusste ziemlich genau, was er tat und hat weder Fotografen noch Filmer mit halbverdauter Lakritze beworfen. Im Jahre 2022 wäre so etwas wie GG zweifellos undenkbar und würde entweder zu endlosen Diskussionen auf belanglosen Internetforen führen oder aber zu Morddrohungen gegenüber örtlichen Veranstaltern. Am Ende hat dann doch wieder jede:r seine Meinung und ich im Gedächtnis, welche Bands alles schon Coverversionen im Programm und Abspann hatten.

Warum ich die Platte besitze? Na ja, weil hier so gut wie alles von GG Allin steht, selbst die mundgemalte „Eat My Fuc“, die ich seinerzeit bei einem Kleinstvertrieb in München bestellt habe, der zu jeder Bestellung reichlich Material aus erster Hand beilegte, das leicht nach Körperausscheidungen roch.