WORST OF THE WORST

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Gute Platten kann jeder – Vol. 10

PLASMATICS

Die Voraussetzung für eine Aufnahme in diese Reihe besteht darin, dass es strahlende Platten von einer Band geben muss, denen der ausgewählte Tonträger in einsam mattem Nichtglanz gegenüberstehen muss. Nun kann man sich streiten, ob die PLASMATICS mehrere gute Platten haben oder ob die Menge des Ausschusses nicht doch bei 50% und mehr liegt. Ich sag’s mal so: Mirdochegal!


Die zweite mögliche Diskussion, ob man die Band bei näherem Hinsehen als reine Showband oder als ernstzunehmend einstuft, ist ebenso müßig wie überflüssig. Wenn das bei den MONKEES, TIC TAC TOE, Fred Sonnenschein und den SPICE GIRLS funktioniert hat, warum dann nicht auch bei einer Punkband, die ganz bewusst Wert auf ihre Bühnenshow und ein durchkonzipiertes Image legt?

Was viele vergessen: Auch die PLASMATICS begannen 1977 in New York im GBGB’s, als eine von vielen Kapellen. Zu dieser Zeit hätte kaum einer einen Blumentopf darauf gesetzt, dass man mit dieser Art von Musik richtig Geld verdienen könnte. Die ersten beiden auf Vice Squad veröffentlichten 7“s und die „Meet The Plasmatics“-12“ haben schon alle Zutaten, die auf den folgenden Stiff-Platten zum Tragen kamen und sind nicht etwa Folge eines neuen Images, das man sich dank der Plattenfirma leisten konnte.

Meine erste Begegnung mit den PLASMATICS fand im Frühjahr 1981 im Fernsehen statt. Der Auftritt beim „Musikladen“ war etwas, das es so im deutschen Fernsehen noch nicht gegeben hatte. Eine leichtbekleidete Frau mit einer Stimme, die keinen Widerspruch duldete, sprengte in der Sendung ein Auto, dazu spielte eine Band, die aussah, als wäre sie frisch aus der Beklopptenanstalt entsprungen. Davor war das Maximum an Explosionen der Auftritt von Alice Cooper bei den Muppets gewesen. Meine Eltern waren entsetzt, nicht nur wegen des Krachs, also war das meins. Keine Woche später stand die „New Hope For The Wretched“-LP in meinem Zimmer. Der feuchte Traum eines jeden Schülers, der sich in Ermangelung eines Großmutterkomplexes bisher kaum in eine seiner Pädagoginnen hätte verlieben können. Gut, so lief jetzt definitiv keine einzige meiner Lehrerinnen rum, aber es ging auch mehr um den Befehlston, der gepaart mit dieser ordinär-rauchigen Stimme alle potenziell devoten Seiten ansprach, die man mit 15 nur haben kann. Für meine Entwicklung war sie immens wichtig, weil hier eine Frau den Hammer schwang, um ihn in alte Autos oder Fernseher zu versenken. Dass das nur Show war, kapierte selbst ein Pubertierender.

Die meisten „Live“-Videos und Stunt-Auftritte strotzten auch nicht unbedingt vor Perfektion, wenn man mal vom Vollplayback absieht. Da trifft das Auto dann eben nur die Seite vom Turm aus lauter Fernsehern, die Busexplosion ist nicht synchron mit dem Aufprall und manche blöde Mattscheibe will sich einfach nicht kaputtschlagen lassen. Nur das Gitarrenzersägen klappte eigentlich fast immer. 1981 von der Polizei im prüden Milwaukee wegen Obszönität festgenommen zu werden, mit den ganzen gebeutelten Mugshot-Bildern, konnte man nicht nach Drehbuch planen, das war und ist Amerika, wo immer noch jeder Schulabbrecher bei der Polizei genommen wird.

Zählen wir kurz die Habenseite durch, die sich exakt bis zur letzten Seite des PLASMATICS-Buchs „Your Heart in Your Mouth“ erstreckt, das die ersten fünf Jahre der Band mit sehr vielen hübschen Bildern und einem selbstbewussten Vermarktungstext dokumentiert. „Beyond The Valley Of 1984“ (mit wirklich drolligen Bildern von Punks auf Pferden in der Wüste) und „New Hope“ sind Punk- respektive Hardcore-Platten, die auch heute noch einigermaßen zeitlos klingen. Für Coverartwork wurde damals noch richtig viel Geld ausgegeben. So ist das Auto im Pool echt, richtig teuer aber war tatsächlich der Kran, den man für die Bilder mieten musste.

Mit der 1982 in den Studios von Dieter Dierks aufgenommenen Platte „Coup D’Etat“ änderte sich der Stil zu deutlich metallischeren Klängen. Eine LP, mit der ich bis auf zwei oder drei Songs lange gehadert habe. „Coup De Grace“ mit den Originaldemos der LP klingt da schon deutlich besser und noch etwas mehr nach Punk. Irgendwer bei der Plattenfirma wird sich damals schon etwas dabei gedacht haben. Punk war durch, Metal das neue Ding und die Band bereits 1983 vorläufig Geschichte.

Wendy trat nun wahlweise als WOW oder Wendy O. Williams auf, um die PLASMATICS 1987 nochmals als Bandnamen für ein Jahr und eine schreckliche Platte wiederzubeleben. Es gab Auftritte mit MOTÖRHEAD und eine Split-7“ mit Lemmy. Von der ursprünglichen Band war nur noch Wes Beech dabei. Richie Stotts, der große dürre Gitarrist mit dem blauen Mohawk, der stets im kleinen Tutu auftrat, hatte 1983 das Handtuch geworfen. Was auch immer Stotts angestellt hatte, er wurde bis zur 2006er Retrospektive als He-Who-Cannot-Be-Named behandelt, musizierte dafür lieber mit ein paar der RAMONES und machte einen handfesten Abschluss in Geologie, was ja irgendwie auch rockt.

In den WOW-Metal-Jahren lief dann einiges anders. Bis auf Wes Beech bestand die Band aus austauschbaren Langhaarigen. Der Sound: 08/15-Metal, der jede Menge Klischees bediente. Klebte sich Wendy O. in den ersten fünf Jahren lediglich die Nippel ab oder trug obenrum nur Schlagsahne, musste der BH jetzt schon halten und gegebenenfalls repariert werden, wie man auf dem Live-Video von 1985 aus dem Camden Palace in London sehen konnte. Neben den Gastauftritten von Lemmy und Würzel eher kein Highlight, in einem auch sonst stinklangweiligen Kaufvideo, das 2000 tatsächlich jemand noch mal auf DVD veröffentlicht hat. Die Jahre mit Einhorn und Klischeeaccessoires auf den Plattencovern sind in meinen Ohren so austauschbar wie belanglos. Auch wenn es schlimm wurde, mag ich Wendy O. bis heute für ihre Präsenz als Frau, die neben der Musik auch in Kinonebenrollen zu sehen war. Ihre Auftritte in Filmen wie „Eat The Rich“, die Duschszene bei „Reform School Girls“ und ihr keinhändiges Tischtennisspiel in „Candy Goes To Hollywood“ sowie das Cameo bei „MacGyver“ bleiben unvergessen.

Kommen wir zu den Ausfällen: Metal zum Abgewöhnen ist die „WOW“-LP, mit einem Opener, der zur Hälfte (bis kurz vor dem Refrain) dreister kaum bei JOAN JETT & THE BLACKHEARTS hätte geklaut werden können. Zweidrittel der KISS-Mannschaft sind zu Gast oder wie Gene Simmons als Produzent tätig. Hair Metal, den man noch nicht einmal ertragen könnte, wenn es sich um Genreprofis wie POISON, L.A. GUNS, CINDERELLA oder RATT handeln würde, erst recht nicht, wenn zwei Leute dabei sind, die „Butcher Baby“ eingespielt haben, wobei Wendy immerhin noch nach sich klingt, nur eben in schlimm. Tausendfach gehörte Metal-Standards, hochproduzierter Bombastrock, der wie Wagner exakt dort besonders fett klingt, wo es an Substanz fehlt (also hier über die komplette Länge). Schlimm im Sinne von „Abstieg“.

„Maggots – The Record“. Eine „Metal Oper“ über die Post-Apokalypse und den Weltuntergang an sich, das als kinky Hörspiel/Pomp-Metal-Soundtrack angelegt ist. Konzeptalben wie diese werden entweder riesig („War Of The Worlds“) oder sie gehen wie „Maggots“ jämmerlichst in die Hose. Wären da nicht alberne Hörspielzwischenstücke, wäre es eine gar nicht mal so schlechte WOW-Metal-Platte voller Klischees, die mit ihren sechs Nettosongs immerhin ordentlich produziert ist und mit der für diese Zeit typisch nach vorne drückenden Bassdrum in den Heerscharen an Metal-LPs untergegangen wäre. 08/15-Soli, Gniedelgniedel, Haarschüttelmetal, den man betrunken auf einer Fete um halb drei durchaus auch mal mitfeiern kann, um dabei sein allerletztes Bier über die Anlage zu verteilen. Die Hörspielteile haben das Niveau eines billigen Fickelromans, der nun halt mal eben in einer Endzeit spielt und von Laiendarstellern gesprochen wird, was sich mit den ganzen Geräuschen in etwa wie die MAD-Schallplatte anhört. Als alleinstehende Platte wäre es „nur“ ein unterdurchschnittliches Mini-Album. Mit den Zwischenstücken, die man sich immer wieder anhören muss, funktioniert das Ganze in etwa so gut wie eine elektrische Motorsäge in der Sahara.

Das absolute Grauen und konkurrenzlos unterirdisch aber sind WENDY O. WILLIAMS’ ULTRAFLY AND THE HOMETOWN GIRLS mit „Deffest! And Baddest!“. Ein Rundum-Unglücklich-Paket, das beim unterirdischen Cover (Banane mit Joghurt) beginnt und sich über die Länge von ganzen zwei LP-Seiten erstreckt. Ein grausamer Mix aus Sprechgesang (Wendy!), Scratching, Stützkurs-Rap, Metal-HipHop, dicken Drumbeats, null Ideen und Bombastproduktion aus Ermangelung an echten Ideen. Gehör-BDSM, den man sich bei mehrmaligem Durchhören als Sozialstunden anrechnen lassen kann.

Warum? Ich weiß es nicht ...

Aber nachdem ich hier auch noch alte VHS-Kassetten mit PLASMATICS-Schnipseln, gebrannte DVDs von ungewisser Herkunft, brasilianische Postermagazine, „das“ Buch und etwa ein Kilo PLASMATICS-Clippings rumliegen habe, vermute ich, dass ich irgendwann einmal einen Crush auf Wendy gehabt haben muss.