Worst of the worst

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Gute Platten kann jeder – Vol. 3

COCKNEY REJECTS – Gefangen in der Hardrock-Hölle
Was macht man als Band, wenn man zweieinhalb bis drei prägende Oi!-Alben abgeliefert hat, mit einer begnadet hässlichen Fanbase gesegnet ist, auf großen Bühnen steht und einen Majorvertrag in der Gesäßtasche mit sich herumträgt? Normalerweise macht man einfach weiter wie bisher und nudelt sich repetitiv zu Tode, bis zur unvermeidlichen Reunion nach der Trennung. Aber dann klemmt sich der angetrunkene Sänger beim Zuschlagen der Kühlschranktür die Eier dermaßen ungeschickt ein, dass nur noch gepresster Knödelgesang möglich ist. Plan B muss her.

Spulen wir aber erst einmal zurück zu den guten alten Zeiten, als sich die Band 1978 frisch gegründet hatte. Nur ein Jahr später erschien die erste 7“ auf dem kleinen Small Wonder-Label, mit drei für die Zeit typischen Punk-Songs. Eine Band unter vielen, die über Fußball, Saufen und all die Dinge singen, die bis heute fester Bestandteil dieses innovativen Stils sind, der sich als New-Oi!, Post-Oi!, Nouvelle-Vague-Oi!, New-Romantic-Oi! oder Goth-Oi! permanent neu erfindet und nahezu zeitlos ist.

Auf Vermittlung von Jimmy Pursey, für dessen Tanzkapelle Jeff „Stinky“ Turner als Roadie Kabel wickelte, erscheint bereits im selben Jahr eine erste 7“ bei EMI, der vier LPs folgen sollten, von denen drei die musikalische Blaupause für Abertausende dieser hochinnovativen Oi!-Bands liefern, die nach einem harten, schweren Tag auf der Arbeit abends einfach nur mit denselben Kumpels beim Fußball abhängen wollen, die sie schon den ganzen Tag bei der Müllabfuhr sehen.

Die erste LP „Greatest Hits“ zu nennen, zeugt von Selbstbewusstsein, das auch eine Band aus Hagen dazu inspirierte, ihrer eigene Debüt-LP den Titel „Ihre größten Erfolge“ zu geben, während sich eine andere Kapelle aus Braunschweig vom Artwork des Backcovers so sehr beeindrucken ließ, dass man lediglich die leicht verbesserte Ausführung mit mehr Bildern anerkennend erwähnen muss. Damals wurde halt geklaut, was das Zeug hielt. Das zweite Album hieß selbstredend „Greatest Hits Vol. II“, und damit es nicht langweilig wurde, folgte dann die Nummer drei, alle in einem Zeitraum von weniger als eineinhalb Jahren.

Die Masterfrage: Welche Leute kommen auf deine Konzerte, wenn du ausschließlich vom Saufen singst? Abstinenzler, Asketen, Bildungsbürger? Ach nein, die Frage muss lauten: Was für Leute kommen, wenn du von Fußball, Straßenkämpfen, Hooligankult und Kloppereien im Stadion singst? Wohlgemerkt in England, wo die Leute, was das Thema anbelangt, ungefähr so viel Spaß verstehen, wie ein Kölner, dem du ein Altbier unterjubelst. Die Insel war das einzige Land, in dem ich bisher an Kneipen das Schild „no colours“ gesehen habe, das nicht etwa der Rassentrennung dient, sondern lediglich Kneipenschlägereien zwischen Anhängern verfeindeter Fußballclubs verhindern soll, die bei falschen Trikotfarben stets rot sehen.

Kloppereien auf Konzerten der Rejects waren an der Tagesordnung. Nicht selten war die Band selber das Ziel, schließlich machten sie aus ihrer West Ham United-Affinität nie einen Hehl, und wenn man dann in einer anderen Stadt mit einem Konkurrenzverein spielte, wurde es lustig. Kann man machen, aber wie sagte ein ehemaliger Rugby-Kollege damals schon so weise, als sein geistig leicht unterbelichteter Bruder aus England zu Gast war: „Anything, but football.“ Ein ganz Schlauer meinte, es wäre doch alles nicht so wild, erwähnte trotzdem Fußball und erwischte leider den falschen Manchester-Verein (City). Blaues Auge, zwei Leute Kneipenverbot und ein lapidares „Told ya!“ Abgesehen davon war der Bruder wirklich nett, vor allem, wenn andere eine große Fresse hatten. „The big guy was talkin’ shit about Manu“, schon hatte der zwei Köpfe größere Muskelberg ein echtes Problem, weil ein Pitbull eben kein Kuscheltier ist.

1981 erschien „The Power & The Glory“ mit deutlich gedrosseltem Tempo, aber immer noch fest im Punk verwurzelt, thematisch wie musikalisch. Manche Songs hätten dabei auch von den PROFESSIONALS stammen können. Die setzten ihre Karriere im selben Jahr aber lieber mit Verkehrsunfällen und einer Wagenladung Pech, gepaart mit Unvermögen in den Sand. Wenn’s halt mal nicht läuft. Zaghafte Fingerzeige gab es aber auch auf dieser Scheibe schon, wie „Lumon“ (hach, fünf Cent für den Anblick eines gestandenen Cockney-Fans beim Abspielen dieser Akustiknummer mit Holzgitarre). Oi?

„It’s over“ ist ein wunderbarer (Nicht-)Schmachtfetzen, der eindrucksvoll belegt, dass hier eine Band im Studio eine LP aufnimmt, die sich trotz langer interner Diskussionen doch nicht über die Neuausrichtung im Klaren ist. Okay, „BYC“ mit dem Synthesizer ist ein kleiner Vorgeschmack auf das Grauen, das da noch kommen sollte. Mit „The greatest story ever told“ gab es ja wenigstens noch mal versöhnliche Töne.

Unter dem Strich ist bei der A-Seite aber alles immer noch Gold und besser als das, was manche Altherrenkapellen heute als Feierabend-Oi! abliefern. In der Summe eine halbschlechte Platte, die den beinharten Cockney-Fan schon mal darauf vorbereitete, was da noch kommen würde. Langsame und behutsame Vorbereitung ist alles, denn nichts hassen Fans mehr als abrupte Stilwechsel, Imagewandel oder lustige Kostüme auf der Bühne. Alleine das Bandfoto auf dem Backcover ist ein letzter dezenter Wink mit einem ganzen Lattenzaun, was nur eine Scheibe später folgen sollte. Ich mag ja solche Bandfotos, die auch die feminine Seite von Menschen zeigen, die sich wegen eines Rundballs gegenseitig aufs Maul hauen. Schau, ich prügle mich zwar für meinen Verein (der mich nicht mal kennt, aber egal), aber ich sammle in meinem anderen Leben auch gepresste Blumen, Küsse, Poesiealben und kaum gebrauchte Kondome.

Leder, sinnlos über die Schulter geworfene Gürtel, wulstige Lippen und nackte Haut. Gut sahen die COCKNEY REJECTS ja noch nie aus, und es gibt eben Bands, die einfach nicht für einen Starschnitt taugen. Rückblickend ergibt der Wandel des Kleidungsstils natürlich durchaus einen Sinn. Wenn man nach mehreren Kloppereien Stadionverbot bekommen hat, ändert man das Outfit in der Hoffnung, dass einen keiner erkennt. Entweder mit modischen Klamotten als Popper durch die Schleuse oder eben als Lederkerl, der für neunzig Minuten Pause am Straßenstrich macht.

Richtig schlimm wird es dann mit dem 1982 veröffentlichten „The Wild Ones“, einem lupenreinen Hardrock-Album für die Ärmsten der Armen. Die Fotos der Bandmitglieder toppen bis auf eines zwar nicht den Vorgänger, aber musikalisch ist das Dünnarm-Hardrock der kraftlosesten Sorte. Bei „Til the end of the day“ kam mir sofort der Diebstahl eines KINKS-Riffs in den Sinn, aber falsch gedacht. Vielmehr handelt es sich um eines der jämmerlichsten KINKS-Cover, die je verbrochen wurden. EMI hatte offenbar den Ausstiegsjoker gezogen, neue Heimat war A.K.A. Records, auf denen auch UFO veröffentlichten, die musikalisch etwa in derselben Liga spielten. Durchgehend Midtempo-Hardrock mit gelegentlichem Keyboardeinsatz ohne einen einzigen Hit. Bei einigen Kollegen aus der Zeit reichte es ja wenigstens noch zu schlechtem Metal, aber Hardrock, im Ernst?

Die Texte? Rock’n’Roll ist der neue Fußball, die neuen Chöre sind harmonisch und ohne Feuerzeug nicht zum Mitsingen geeignet. „Ahaaa, broken hearted, ahaaa“ ... Klavierpassage, glasige Augen, Produktionsloch, Stampfrock, fürchterbar. Blankes Elend über zehn Songs auf vollen zwei LP-Seiten. Wie man in nur eineinhalb Jahren einen derartigen Abstieg hinlegen kann, ist mir bis heute ein Rätsel. Wäre ich COCKNEY REJECTS-Fan mit einem Bandtattoo auf dem Oberarm gewesen, hätte ich heute mindestens einen Armstummel ... oder ein Coverup, aber doch wohl eher den Stummel. Weil sich Geschichte wiederholt: Jimmy Pursey legte den Schwachsinn, der hier schon nicht funktionierte, mit SHAM 69 ein paar Jahre später 1:1 neu auf. Der Gesang von Harley Flanagan erinnert mich erschreckend deutlich an den Knödler auf dieser LP, nach der bei mir mit der Band endgültig Schluss war. Bei ihnen im Übrigen auch, denn danach nannten sie sich nur noch REJECTS, die mit „Quiet Storm“ ein einsames unterirdisches Album auf Heavy Metal Records aufnahmen, das ich mir nur ein zweites Mal in Gänze anhören werde, wenn mir jemand dafür mindestens 158 Euro gibt. G-R-A-U-E-N-H-A-F-T! Nach dieser LP gab es dann verdientermaßen erst einmal Berufsverbot.

Auch wenn die alten Herren im Jahr 2000 wieder einigermaßen die Kurve bekommen haben, wäre ich der Erste, der ganz vorne an der Bühne mit „The Wild Ones“ wedeln würde. Nicht etwa, weil ich nachtragend bin, aber ich vergesse nicht, wofür ich mein seinerzeit karges Geld ausgeben musste. Warum die noch hier steht? Weil dir das kein normaler Mensch abkaufen will, und für 2 Euro packe ich keine Päckchen.