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Diesmal: #WitchTok – Zwischen Spiritualität und Sprengung von Genregrenzen

POV: Du bist auf TikTok, scrollst von einem Video zum nächsten und auf einmal erzählt dir eine Frau mit Tarot-Karten in der Hand, dass dir die Liebe deines Lebens in den nächsten 24 Stunden schreiben wird. Du scrollst noch ein bisschen weiter und stößt auf ein Video einer jungen Frau mit bunten Haaren, die dir Tipps dafür gibt, wie du deine Küche am besten „Hexen-freundlich“ putzen und anschließend kochen kannst. Versehen ist das Ganze mit dem Hashtag #WitchTok, unterlegt mit einem FLEETWOOD MAC-Song, der gerade auf TikTok trendet.

#WitchTok ist kein neues Phänomen. Ob in den frühen Zweitausendern auf Tumblr, später dann auf Instagram und YouTube oder eben jetzt auf TikTok – die Faszination des Okkulten hat insbesondere junge Frauen schon immer begeistert. Dabei kann diese „Witch Community“ aus ganz vielen verschiedenen Facetten bestehen. Der Hashtag #WitchTok dient dabei nur als Sammelort der Community, die sich von Wicca über Paganismus bis hin zu den diversen Hexen-Begriffen erstrecken kann. Während die „Hexe“ allgemein mit negativen Attributen verbunden und auch gerne mal als Schimpfwort genutzt wird, bietet diese Community die Chance, den Begriff für sich zurückzuerobern, was schon fast etwas Emanzipatorisches hat.

Aber warum interessiert uns das? Scrollt man auf TikTok durch den Hashtag #WitchTok, wird eines deutlich: Viele der Creator:innen haben bunte Haare und ein alternatives Aussehen – das könnte auch gut auf ein Punk-Konzert passen. Und so weit hergeholt ist diese Schnittstelle gar nicht. Wie jedes andere Phänomen auf TikTok hat auch diese Community eigene Soundtracks beziehungsweise Musik, die sie miteinander verbindet. Eine kurze Suche auf Spotify lässt etliche „witchy“ Playlists aufploppen. Dabei wird schnell klar, dass es oftmals eher um einen Vibe als eine Musikrichtung geht. Viele der Playlists erinnern aber auch an Hippiesounds, mit Bands FLORENCE AND THE MACHINE oder FLEETWOOD MAC, die ja gerade sowieso eine regelrechte TikTok-Renaissance erleben. Es wirkt, als würden zwei Strömungen miteinander verbunden werden: alternative Punk- und Rockbands und Hippiemusik.

Eine dieser Playlists heißt „Witchy Songs“ und verzeichnet auf Spotify fast 54.000 Likes. Darauf gibt es eine bunte Mischung an Songs zu hören: Neben „Spellbound“ von SIOUXSIE AND THE BANSHEES findet sich auch „She’s a rainbow“ von THE ROLLING STONES, „Rhiannon“ von FLEETWOOD MAC oder auch „Season of the witch“ von Lana Del Rey. Und das ist nicht die einzige „witchy“ Playlist, die so eine Mischung aufweist. Es wirkt, als würde das Genre komplett in den Hintergrund rücken und der Fokus viel mehr auf eine Atmosphäre beziehungsweise Ästhetik gerückt.

Tatsächlich scheint diese Art des Musikerlebens sowieso immer mehr zuzunehmen. Die Anzahl der Spotify-Playlists, die eine Stimmung anstatt ein Genre abdecken, nimmt stetig zu. Und dass Leute immer weniger ganze Alben hören, ist auch keine Schocknachricht mehr. Die Verbindung der Witch-Community besteht viel mehr aus einer gemeinsamen Stimmung, die die Leute auch in der Musik, die sie hören, zu finden versuchen. Die Grenzen verschwimmen immer weiter und da darf eine Playlist auch gerne eine bunte Mischung an Genres aufweisen, von Americana zu Pop bis hin zu Indie und Classic Rock und vielleicht sogar den einen oder anderen Punk-Song – solange alles dem richtigen Vibe entspricht.

Und auch wenn die Musik auf #WitchTok nicht im Fokus steht, kann es sicherlich ein guter Space sein, um nicht nur neue Musik zu entdecken, sondern sich auch der Natur wieder verbundener zu fühlen und sich mit Themen wie Nachhaltigkeit zu befassen. Aber auch hier gibt es zwei Seiten: Das Thema kann auch schnell ins Negative kippen, wenn es plötzlich um Esoterik, Manifestation und sonstigen Hokuspokus geht. Denn gerade ein Phänomen wie „Manifestation“, das besagt, man müsse nur sein Mindset ins Positive wechseln, um alle seine Ziele und Träume zu erreichen, ist aktuell auf TikTok weit verbreitet. Auch wenn es sicherlich gut ist, die Dinge mit einer positiven Einstellung anzugehen, artet es leider immer wieder aus, wenn es um die mentale Gesundheit geht und dir eine Möchtegern-Expertin in einem 30-Sekunden-Video erklärt, dass du Depressionen nur wegen deines negativen Mindsets hast.

Also vielleicht lieber doch nur zum Herbst die „witchy“ Playlists auspacken, um in die richtige Halloween-Stimmung zu kommen.