BÖSE BUB EUGEN

Foto© by Yvonne Baumann

Honigbrot und Marmelade - Punk in der Schweizer Provinz (Teil 1)

Vor gut vierzig Jahren formierte sich mit DER BÖSE BUB EUGEN eine der wichtigsten Swiss-Wave-Bands der Achtziger Jahre. Es lag also schon länger was in der Luft ... Im Juni 2022 wurde ich von Roger Weidmann angefragt, ob ich ihn bei einem Rerelease unterstützen könne. Er ist ein Fan, seit er die Band 1985 live gesehen hat, und berichtete, er habe von Stephan Ramming aka „Rämi“, dem Sänger und Gitarristen der Band, das Okay erhalten, aber er wisse nicht, wie so was gemacht würde. Ich sagte umgehend zu und eine sehr erfreuliche Zusammenarbeit zwischen ihm, den ehemaligen Bandmitgliedern und weiteren involvierten Personen führten zu dem Doppelalbum „Vielleicht auch ganz anders“, das am 15. September erscheinen wird. Dieses beinhaltet einen schönen Überblick des musikalischen, textlichen und bildlichen Œuvres der Band.

Das ausführliche Gespräch zwischen Rämi und mir erstreckt sich über drei Ox-Nummern. 1. Teil beginnt mit „Punk Tag 1“, schon lange vor der Gründung von DER BÖSE BUB EUGEN, und behandelt die Zeit bis zu ihrer Tour mit DIE ÄRZTE 1984. In Teil 2 sprechen wir über alle ihre Veröffentlichungen und den Kontext zum aktuellen Doppelalbum „Vielleicht auch ganz anders“ bis zu ihrer Auflösung 1989. Teil 3. beinhaltet die Zeit danach, da sprechen wir vor allem über die Nachfolgeband EUGEN bis zu deren Auflösung 1998. Ich wollte eigentlich kein klassisches Interview mit Rämi führen, sondern die unterschiedliche Geschichten zweier Provinz-Punks aufzeichnen. Rämi gab mir aber im Laufe des Gespräches zu verstehen, dass er kein Punk-Kriegs-Geschichten-Gespräch à la Waldorf und Statler mit mir führen wolle. Somit ist es was dazwischen geworden und das ist gut so.

1976: Bravo

In der Ausgabe vom 30. September 1976 der deutschen Pop-Zeitschrift Bravo erscheint zum ersten Mal ein Artikel über Punk mit dem Titel: „Punk Rock – Neue Welle!“ Du Rämi, damals 13 Jahre jung und ich mit 15 Jahren, hatten uns laut Bravo „festzuhalten, da diese neue Musikwelle auf uns beide zurollen würde und alles bisherige in unserem Leben durcheinanderwirbeln sollte.“ Ich kann für mich sagen, dass dieser Zustand bis zum heutigen Tag anhält. Wie war das bei dir damals und in welcher Art und Weise spürst du dies noch heute?

Tja, also ich fühle mich heute hoffentlich nicht mehr so wie mit 13 Jahren. Ich habe ein recht gutes Gedächtnis, aber je älter ich werde und je mehr ich über die Vergangenheit nachdenke, desto misstrauischer werde ich auch Erinnerungen gegenüber. Mit 13 Jahren baut sich ja alles um im Kopf und Körper, man ist nicht mehr ganz Kind und noch lange kein „Jugendlicher“, im heutigen Sinn schon gar nicht. Aber ich weiß sicher, dass ich wie du zum ersten Mal 1976 in der Bravo von Punk las, ohne eine Ahnung zu haben, was das sein soll und wie das klingen könnte. Aber die Bilder sahen aufregend aus und versprachen etwas Neues, Wildes, etwas gegen alles, was es sonst so gab. Dieser Bravo-Artikel und wenig später auch eine Titelstory im Spiegel waren wie Fenster in eine andere, aufregende Welt.

Welche Musik hast du gehört mit 13 Jahren?
Ich hatte so mit zehn, elf Jahren angefangen, mich für Musik zu begeistern. Musik war nicht allgegenwärtig wie heute mit den Telefonen, wir hatten ein Radio zu Hause und einen Plattenspieler, aber meine Eltern hatten nur ein Album von James Last und ein paar Singles, die sie sich zur Erinnerung an Ferien gegönnt hatten. Als Kind hörte ich Emil, Otto und Chaschperli, also Sprechplatten. Musik bekam man über die älteren Geschwister von Schulgschpänli [Schulfreunden] mit, einmal in der Woche gab es im Radio eine halbe Stunde Hitparade. Ich mochte THE SWEET, MUD, THE RUBETTES, STATUS QUO, SAILOR – fast alles auf Englisch. Ich erinnere mich noch an das ratlose Gesicht meines Vaters, als ich ihn fragte, was „48 crash“ bedeutet, neben „Can the can“ der Hit von Suzy Quatro. Mani Matter, den Schweizer Liedermacher, mochte ich, unser Lehrer hat mit uns seine Lieder gesungen. Die BEATLES liebte ich, ein Nachbar lieh mir das rote und blaue Album aus auf Kassette, auch Udo Lindenberg. Diese Sachen kannte ich, als ich 1976 erstmals von Punk las. Ich weiß noch, dass ich „SEX PISTOLS“ auf ein Schulheft schrieb, einfach wegen des Namens, ohne je die Musik gehört zu haben.

1977-1980: Provinz

Da scheint eine weitere Parallele zwischen uns zu existieren, der Glamrock. Bei mir waren es die drei männlichen S – SWEET, SLADE und STATUS QUO – und das weibliche S – Suzi Quatro –, ein wenig BEATLES auch, das waren die einzigen Scheiben, die ich aus der Plattensammlung meines Vaters anhörte. Das mit Mani Matter lässt deinen Fokus und späteres Talent auf das geschriebene, sprich: gesungene Wort, natürlich hier schon erahnen.

Na ja, ich habe einfach gerne gelesen, auch Comics. Wir hatten keinen Fernseher daheim und Lesen war für einen Jungen im Vergleich zu heute eben eine der wenigen Möglichkeit, seine Ruhe zu haben und in andere Welten zu verschwinden.

Du hast diesen Bravo-Artikel vermutlich damals an deinem Wohnort in Thayngen nahe der Kantonshauptstadt Kaffhausen [Schaffhausen] gelesen, ich in Wittenbach nähe der Kantonshauptstadt Güllen [St. Gallen]. Beides war tiefste ländliche Provinz in der nordöstlichsten Ecke der Schweiz nahe dem Bodensee, sechzig Kilometer voneinander entfernt. Der Zustand, den ich ansprach, hat auch damit zu tun, dass ich da raus wollte, und dieser Artikel in der Bravo zeigte mir, dass dies ein Weg sein könnte. Mein nächster Schritt war nun, mehr darüber zu erfahren. Dies war in Wittenbach unmöglich, und ich fuhr mit meinem Schnäpper [Moped] nach Güllen zum Schallplatten-Laden Bro Records. Der Laden war auf Heavy Metal und Classic Rock fokussiert, aber der Inhaber Alex hatte noch nichts von Punk mitgekriegt. Er versprach mir aber, sich darum zu kümmern, und schon bald erhielt ich von ihm die ersten Punk/Wave-LPs – Singles führte er leider keine. Noch wichtiger wurde dann die Radiosendung „Musik aus London“ auf DRS2 von FM Mürner (François Mürner), wo der neue heiße Punk-Scheiß vorgestellt und auch von einer kleinen Punk-Szene in Zürich gesprochen wurde. Ich habe später erfahren, dass auch viele angehende Punks in Süddeutschland sich diese Sendung zu Gemüte geführt haben. Gab es auch andere angehende Punks in Güllen oder Kaffhausen? Wie lief das bei dir ab?
Thayngen liegt zwischen Schaffhausen (CH) und Singen (DE) an der Grenze zu Deutschland, hat etwa 4000 Einwohner, ist so etwas wie der Hauptort des Bezirkes. Knorr war der Hauptarbeitgeber, die Suppen- und Aromat Fabrik [das Schweizer Universalwürzmittel schlechthin] war das Zentrum. Eine Mischung aus Alteingesessenen und Zugezogenen hat das Dorf geprägt. 1978 ging ich dann in die Kantonsschule in Schaffhausen, aber schon in der Sekundarschule in Thayngen gab es ein paar Jungs in der oberen Klasse, mit denen ich über Musik redete. Es gab damals nicht so viele Informationen, für mich war das Radio wichtig. Was François Mürner im „Musig us London“ am Sonntagabend gespielt hatte, war immer ein großes Schulhof-Thema in den Tagen nach der Sendung. Ich glaube, sie lief zuerst einmal im Monat am Sonntagabend. Ich weiß noch, wie ich unter der Bettdecke die Sendung mit dem Kassettenrekorder aufgenommen habe. Schallplatten besaß ich keine. Zum 13. Geburtstag, also 1976, habe ich mir von RUMPELSTILZ „Füüf Narre im Charre“ und von AC/DC die Live-Platte „If You Want Blood“ gewünscht – und auch bekommen! Mit den Jungs aus Thayngen gründete ich dann später die Punkband DER PEIN. Svend Müller aka „Närt Alkohol“ war der Gitarrist, Peter Keller aka „Galle“ spielte Bass, Heinz Storrer aka „Fritz Diät“ war am Schlagzeug und ich, „Rämi Hämorrid“, war der Sänger. Aber das war erst 1980.

Gab es schon vorher Punk-Konzerte in Schaffhausen?
In Schaffhausen gab es den Jugendchäller, dort spielten die NASAL BOYS. Aber ich war da nicht dabei, es war unter der Woche, glaube ich. Ich hörte nur davon, dass es ziemlich chaotisch gewesen sein soll. Jedenfalls: In diesem Jugendchäller spielten eher Jazzrock-Bands wie CIRCUS oder TOAD, auch RUMPELSTILZ waren dort. Ich wollte, dass auch andere Bands spielen können, und ging in die AG Konzert, wo das Programm gemacht wurde. Ich musste mithelfen und mich anpassen, mit der Zeit konnte ich dann auch Bands einladen, TNT, MOTHER’S RUIN, CRAZY zum Beispiel. Ich kannte die vom Radio und von meinen Streifzügen nach Zürich. Im Klamottenladen Booster gab es damals die Platten der ersten Schweizer Punkbands zu kaufen, auch Fanzines. Das war eine wichtige Quelle, um an Infos zu kommen.

Hattest du auch einen Schnäpper, mit dem du wegfahren konntest?
Ja, einen alten Sachs ... Aber es war nicht so, dass ich den Drang hatte, von Thayngen abzuhauen. Ich war im Fußballclub, ging auch in die Pfadi. Ich ging ganz gerne in die Schule, ich war zwar schlecht und musste mich anstrengen, aber Bücher, Geschichte, Sprachen, das hat mich interessiert, und in der Sekundarschule begann ich etwa 1977 zu merken, dass ich keine Lust hatte auf eine Lehre. Mit der Unterstützung eines Lehrers konnte ich dann die Prüfung machen für die Kantonsschule. Ich weiß noch, dass ich mir selbst eine Belohnung schenkte für den Abend des Prüfungstages im Februar 1978: Nina Hagen live im Volkshaus Zürich, ein super Konzert in meiner Erinnerung. In der Zeit um 1978 ging ich auf jedes Konzert in Reichweite, meistens in und um Zürich. SIOUXSIE & THE BANSHEES mit dem Debüt „The Scream“ im Gepäck zum Beispiel spielten in der Aula der Kantonsschule in Baden, MOTHER’S RUIN und SPERMA waren die Vorgruppen. Ich hängte dann auch Konzertplakate auf für die Agentur Free & Virgin, ich hatte irgendwo eine Kleinanzeige gesehen, dass sie Leute suchten. Ich bekam also 50 oder 100 Plakate nach Hause zugeschickt, dafür gab es zwei Konzerttickets. Lene Lovich habe ich so gesehen und auch die RAMONES, beide im Volkshaus. In Schaffhausen gab es in jener Zeit einen Plattenladen, Rainbow-Music, der Besitzer hieß Dani Bollinger. Der Rainbow lag auf dem Schulweg, Dani war ein Fan von Elvis Costello, sprich: die Stiff-Sachen waren sein Ding.

Welche Rolle spielte die Bewegung, also die Zürcher Jugendunruhen? Hast du das mitbekommen?
Ja, das war sehr wichtig, ich denke, überall in der Schweizer Provinz wurden junge Leute davon infiziert. Ich habe im Jahr 2000 einen Text für die WoZ [Wochenzeitung] geschrieben, der ist mir neulich wieder unter die Augen geraten, weil die WoZ offenbar Archivtexte wieder aufschaltet. Ich finde, der Text gibt ganz gut wieder, wie ich damals unterwegs war. Soll ich den Text zitieren? Ist ein wenig History im doppelten Sinn, der Text ist 23 Jahre alt und verhandelt, was vor 43 Jahren mit mir los war ... verrückt!

Ja, gerne, ich habe diese Zeit ja auch erlebt in Zürich, ich machte dort eine Lehre als Dekorateur in einem Warenhaus.
Also, ich zitiere also aus der WoZ, erschienen ist der Text Ende Mai 2000: „Als sich in der Nacht vom 30. auf den 31. Mai 1980 in Zürich der Opernhauskrawall ereignet, schlafe ich zufrieden im Haus meiner Eltern. Mit dem Butterbrot in der Hand höre ich in den Frühnachrichten von eingeschlagenen Schaufenstern, Plünderungen und Tränengas. Die Meldung sticht zwischen Wetterbericht und Sportresultaten merkwürdig heraus. Keine Ahnung, ob es an der Ausführlichkeit liegt, am Tonfall der Sprecherstimme, die nicht nur das Ereignis, sondern auch dessen Ungehörigkeit zu rapportieren scheint und zu verstehen gibt, dass etwas Aussergewöhnliches geschehen ist. Eine gewalttätige Strassenschlacht, bei uns, in der Schweiz, in Zürich! Ich beeile mich wie immer, rechtzeitig vom Dorf zur Schule im Kantonshauptort zu kommen. Die erste Stunde ist Deutsch. Der Lehrer kommt in die Klasse, legt das Buch beiseite und fragt, ob wir auch die Nachrichten gehört haben, dass Gewalt wohl das Letzte sei, um den Forderungen nach einem Jugendzentrum Nachdruck zu verleihen, und überhaupt, ob wir, verschlafener GymnasiastInnenhaufen, der wir sind, denn überhaupt eine Meinung haben. Auch mein braver Deutschlehrer hat offenbar das Aussergewöhnliche der Nachrichtenmeldung wahrgenommen. Es folgt für die Verhältnisse des verschlafenen GymnasiastInnenhaufens eine einigermassen angeregte Diskussion. Als siebzehnjähriger Schüler ist man vernünftig und gegen Gewalt, aber sechzig Millionen Franken für das Opernhaus sei viel Geld, wenn im Gegenzug den Jungen nichts gegönnt werde, Opern seien zwar berechtigt, aber Rockmusik und Jugendhaus lägen uns halt schon näher. Frisch löst ein Votum das andere ab. Wie alle anderen endet auch diese Deutschstunde mit der Pausenglocke. Der Sommer kommt, ich rutsche wegen meiner Begeisterung für Punk in die eine oder andere Demo, lande wegen eines Irrtums der Polizei einmal sogar auf der Wache, organisiere in der kleinen Kantonshauptstadt wie bislang Konzerte, probe weiter mit einer Punkband, schreibe für die Schülerzeitung und für Fanzines. In den Sommerferien will ich nach London fahren. Dank familiären Beziehungen kann ich das Geld für die Reise erstmals nicht beim Gemeindeförster im Wald, sondern mit einem vierwöchigen Job im Archiv der NZZ [Neue Zürcher Zeitung] verdienen. Ich wohne also im Zürcher Seefeld. Tagsüber schneide ich Artikel aus, klebe sie mit Pelikanol auf grosse Bögen, ordne, archiviere, stelle von den Redaktoren angeforderte Dossiers zusammen und bringe sie in die Büros. Nach Feierabend setze ich mich ins Tram Nummer 4, fahre zum unterdessen der bewegten Jugend zur Verfügung gestellten AJZ hinter dem Hauptbahnhof und hänge dort bis zur letzten Rückfahrt herum. Am nächsten Morgen lese ich dann in der NZZ, was sich jeweils am Vortag ereignet hat. Ich frage meinen Chef, ob ich mir zum Privatgebrauch Kopien von den entsprechenden Artikeln zu den „Unruhen“ machen dürfe. Ich darf. Die vier Wochen gehen vorbei, ich sehe in London die STRANGLERS, TENPOLE TUDOR, NINE BELOW ZERO, werde im Herbst nur provisorisch ins nächste Semester versetzt, die Behörden schliessen das AJZ zum ersten Mal, es gibt wieder Demos, Strassenschlachten, in meinem Dorf wurden auffällig gewordene Freunde psychiatrisiert, einer verschwand für einige Wochen ins AJZ nach Zürich, und so ging alles weiter, schwoll an und ab im Strudel der biografischen Gezeiten.“

1980/81: DER PEIN

Das NASAL BOYS-Konzert im Jugendchäller war am 8. Oktober 1977, dies war ein Samstag und sicher das erste Konzert dieser Art in Schaffhausen. Ich habe auch gehört, dass es sehr chaotisch war und der Strom wurde ihnen schon nach kurzer Zeit abgedreht. Bei mir verhielt sich die Sache jetzt gerade andersrum wie bei dir. Meine Eltern hatten sich gewünscht, dass ich was studiere, doch ich hasste die Schule. Also musste eine Lehre her und diese absolvierte ich in Zürich. Für mich ein weiterer Schritt Richtung raus aus der Provinz. Wittenbach – St.Gallen – Zürich, doch schon bald wollte ich weiter ... New York oder Tokio sollte es werden. Auf fast allen Konzerten, die du erwähnst, war ich natürlich auch und noch auf vielen mehr. Das wurde ja immer mehr das zentrale „Ding“. Das war ja auch der Ort, wo alle hingingen und man sich kennen lernte. Wie viele aus unserem Umfeld weiß auch ich, wo ich die Nacht vom 30. auf den 31. Mai 1980 verbrachte. Zuerst war ich mit Mitgliedern von der Punkband F.D.P. – Fick den Papst oder Frei durch Pogo – im Kino Movie im Niederdorf und wir sahen uns den Film „Die 120 Tage von Sodom“ von Pier Paolo Pasolini an. Einige seiner Filme waren zu der Zeit auf dem Index oder wurden nur geschnitten gezeigt, sprich: zensiert. So weit ich mich erinnern mag, war dies eine unzensierte Fassung mit unangemeldeter Verlängerung. Als wir nämlich den Kinosaal verließen, schien das, was im Film ablief, einfach weiter zu laufen. Wir hielten die Stellung oberhalb des Central und bewarfen die Bullen mit allem, was uns in die Hände geriet. Von DER PEIN gibt es eine Demokassette mit Aufnahmen. Ich habe diese bis heute leider nie in die Hände gekriegt. Und am 13./14. Juni 1981 fand im Keller zum Fass unter dem Slogan „Schaffhausen brännt“ mit KORPUS KRISTI aus dem deutschen Lande, ABGAS, CRASH COURSE, CRAZY und DER PEIN vermutlich ein erstes Punk-Festival in Schaffhausen statt. Es gibt davon ein Kassette, limitiert auf wenige Exemplare – der Umschlag ist handbeschriftetes Klopapier! Kannst du dich noch daran erinnern, hast du dieses organisiert? Haben DER PEIN schon deutsch gesungen? Und bis DER BÖSE BUB EUGEN ins Land fahren sollte, ist ja noch einiges mehr davor passiert ... oder?

An dieses Konzert erinnere ich mich natürlich, ich habe es ja organisiert. CRAZY brachten ein paar Luzerner Punks mit, in der Webergasse machten schon am Nachmittag alle Läden dicht. Es war ein ziemliches Chaos, natürlich legendär. Aber ich hatte ziemlich Schiss, weil das ja alles auf mich zurückfallen konnte mit der Polizei und den Leuten vom Fasschäller, bei denen ich plötzlich im Ruf stand, für das Chaos verantwortlich zu sein. War ich ja auch, ein wenig zumindest. Die ließen mich danach eine Weile keine Konzerte machen da. Eine gewisse Ironie bestand auch darin, dass ich beim FDP-Stadtpräsidenten Felix Schwank per Brief für dieses Konzert eine Defizitgarantie beantragt hatte, es waren ja vier Bands und vor allem CRAZY wollten tüchtig Gage, in den Laden gingen vielleicht 200 Leute. Ich musste für die Defizitgarantie beim Stadtpräsidenten persönlich antraben, um die Garantie zu bekommen. Der FDP-Mann Felix Schwank hat sie mir gewährt, aber ich habe sie dann gar nicht gebraucht. Mit DER PEIN spielte ich selber auch, Olifr „Guz“ Mauermann hat mir mal die Aufnahmen digitalisiert, sie bleiben aber in meiner Schublade ... ist nur riesiger Lärm, aber sehr lustig. Und klar, ich habe die Texte auf Deutsch geschrieben. Ich war begeistert von den ersten Singles, die bei Alfred Hilfsbergs ZickZack-Label erschienen, FREIWILLIGE SELBSTKONTROLLE, SAAL 3, DIE ZIMMERMÄNNER ... Deshalb habe ich auch KORPUS KRISTI eingeladen. Eigentlich wollte ich ja DIE RADIERER nach Schaffhausen holen. Aber der Kontaktmann der Band schrieb mir kurz vor dem Konzert, DIE RADIERER, deren Song „Angriff aufs Schlaraffenland“ ich liebte, hätten gerade Streit, aber ein Teil von ihnen habe eine andere Band am Laufen, eben KORPUS KRISTI. Mit DER PEIN fingen wir eigentlich an, nachdem wir in Basel waren bei einer Musiksendung von Urs Musfeld. Die lief über Mittag und da stellte jemand seine Lieblingsmusik vor. Ich habe mich angemeldet und plötzlich hieß es in einem freundlichen Brief, ich solle doch kommen. Zu fünft sind wir dann nach Basel gefahren und in der Sendung fragte uns Herr Musfeld, ob wir denn auch eine Band gründen wollen. Auf der Heimfahrt sagten wir uns, machen wir, Svend Müller konnte ein wenig Gitarre spielen. Svend ist der Einzige, mit dem ich ab und zu noch Kontakt habe. Er war riesiger Fan von DR. FEELGOOD, wir spielten zusammen Fußball unter dem späteren Friedhofsgärtner Wabo als Trainer ... wie auch immer. Svend hat sich dann für 450 Franken eine elektrische Gitarre gekauft mit einem Verstärker, das erste Lied bei ihm zu Hause im Bubenzimmer war die Titelmelodie von „Wickie und die starken Männer“ – „Hey, Wickie, hey, zieh fest das Segel an“, kann ich heute noch. Das habe ich in einen Kassettenrekorder als Verstärker geschrien. Wir organisierten uns dann einen Proberaum und Instrumente. Eines der ersten Konzerte war im April 1981 am KIK [Kultur im Kornhaus] in Schaffhausen. Das war ein mittelalterlicher Schober, den Kulturleute für einen Monat von der Stadt bekommen hatten für Ausstellungen und Kunst. Man konnte sich da einfach anmelden, nach dem Motto „Jeder ist ein Künstler“ oder so ähnlich. Wir spielten am Samstagnachmittag, es gab etwas Rabatz. Die Schaffhauser Nachrichten schrieben: „Der Pein peinigte das Ohr.“ Haha! Danach spielten wir im AJZ in Zürich mit THE WORK aus England, im AJZ Basel, an vielen Orten. Auch im Palazzo Liestal spielten wir, mit FREIWILLIGE SELBSTKONTROLLE und DAS TRAUMPAAR, ein Projekt von Stephan Eicher nach dem „Eisbär“-Erfolg. Am gleichen Abend spielten wir auch noch in der Kulti in Wetzikon, wir kamen da weit nach Mitternacht an, F.D.P. waren am Spielen, die Stimmung war ziemlich kaputt. Bald hatte ich keinen Bock mehr: Die andern waren schon vor dem Spielen so besoffen, dass ich als Sänger doof auf der Bühne stand, während jeder einen anderen Song spielte oder vergessen hatte, wie er geht. Nach dem zehnten Konzert, wir waren in Baden Vorband von SOZZ aus Büren an der Aare, sagte ich „Tschüssi“. Ich lieh mir den Leiterwagen vom Nachbarn aus und transportierte die Gesangsanlage nach Hause. Dann kaufte ich mir selber eine Gitarre. Ich brachte mir den einen E-Barré-Griff bei, den Svend immer gespielt hat. Den kann man einfach verschieben und es macht schön Lärm. Das erste Lied, das ich spielen konnte, war „Mongoloid“ von DEVO. Das genügte, um eine neue Band zu gründen. Im Winter 1982 waren TIPEX am Start, die nächste Geschichte.

1982/83: TIPEX

Diese Geschichte interessiert uns natürlich, da sehr wenig bis gar nichts über diese Band bekannt ist.

Ist das so? Ich dachte, wir seien sehr bekannt gewesen ... haha.

Soweit mir zu Ohren gekommen ist, gründeten die beiden DER PEIN-Mitglieder Galle und Närt mit weiteren Thaynger Jungs die Band CHAOTIK TH, TH für Thayngen, die musikalisch das bringen, was zu der Zeit von Punk zu erwarten ist. Du mit Stephan Winiger aka „Wini“, Synthesizer/Gesang/Rhythm, Maurus Gmür, Saxophon/Gesang, und Laurenz Müller aka „Lenz“, Bass/Gesang, der auch danach bei DER BÖSE BUB EUGEN dabei sein wird, nennt euch TIPEX. Am 9. Januar 1983 nehmt ihr im Übungsraum ein Demotape mit elf Songs auf. Kurz darauf erscheint eine Split-7“ mit CHAOTIK TH, darauf von euch die beiden Songs „Lange lange Strasse lang“ und „(Der schweigende) Schleicher“. Hier werden meiner Meinung nach die Weichen anders gestellt. Du mit deinem Gitarrenspiel und deutschen Gesang definierst jetzt einen eigenständigen Sound. Vor allem der Song „Lange lange Strasse lang“ ist schon DER BÖSE BUB EUGEN. Außer dass hier noch ein Saxophon reinbläst, was es so später nicht mehr geben wird. Ein weiterer für mich gemeinsamer und interessanter Aspekt sind die Namen und die Sprache. Dass jeder in der Punk-Szene einen eigenen Übernahmen hat oder erhält, ist ja klar. Doch wir in Güllen und ihr in Kaffhausen setzt noch einen drauf. Wir erfinden ganz viele eigene Wörter und verwenden sie so, dass nur wir sie deuten können. Als Beispiel nehme ich jetzt mal euer Label Gülden Broduggt, auf dem ja die Split-7“ erschien. Das Wort „gülden“ verwendet ihr überall und auch den Ausdruck „Verfaulte Geschichten“ ...
Bei DER PEIN waren die Texte schon Hochdeutsch, das habe ich immer beibehalten. Warum das so war, kann ich nur vermuten: Ich konnte sicher nur ein wenig Schulenglisch und irgendwie wollte ich immer, dass man die Texte versteht. Das erste Lied, das wir spielten, war die Titelmelodie der Trickfilmserie „Wickie“, mit dem kleinen Wikinger ... natürlich in der deutschen Version: Das war im Zimmer von Närt, ich brüllte in das Mikrofon eines Kassettenrekorders. Es gab Ende der Siebziger ja auch einige Bands, die auf Deutsch getextet haben: FREIWILLIGE SELBSTKONTROLLE haben mich begeistert. GRAUZONE, CRAZY, SPERMA, HERTZ waren Schweizer mit Mundart- oder hochdeutschen Texten, BUTTOCKS, ABWÄRTS, WIRTSCHAFTSWUNDER, RADIERER, SAAL2, HANS-A-PLAST, dann natürlich auch FEHLFARBEN und einige mehr – die haben es vorgemacht. Und ich mochte die frühen Sachen von Udo Lindenberg noch immer sehr, auch KRAFTWERK, aus der Schweiz die beiden Mundart-Bands RUMPELSTILZ aus Bern oder LISE SCHLATT aus Zürich. Wie auch immer – TIPEX waren eigentlich eine New-Wave-Band in dem Sinn, dass wir statt Schlagzeug ein Rhythmusgerät hatten und Stephan Winiger einen Korg-Synthie MS20 – die Haltung war klar Anti-Punk. Wir spielten damals auch mit Bands wie den ABORIGINAL VOICES, ein Minimal-Electro-Duo mit Wüste von den ehemaligen NASAL BOYS. Punk war in den frühen Achtziger Jahren eigentlich tot, trotz EXPLOITED ... oder haben die Punk noch endgültig zu Grabe getragen?! Egal. Neben Synthie und der Rhythmusmaschine war das Saxofon von Maurus ja auch so ein Statement bei TIPEX, es war dieses No-Wave-Ding, das aus New York damals nach Europa schwappte. Aber uns war nicht nach Jazz zumute, wir wollten Songs, Refrains, Lieder ... Wir lösten die Band auf, Lenz und ich wussten aber, dass wir weitermachen wollten. Den Rest kannst du auf Wikipedia nachlesen, Stichwort: DER BÖSE BUB EUGEN.

1984: DER BÖSE BUB EUGEN - Der Anfang

Seit Januar 2023 gibt es bei Wikipedia einen sehr umfassenden DER BÖSE BUB EUGEN-Eintrag, der von einem alten Fan von euch und dir erstellt wurde. Wir wollen somit nicht das wiederkauen, was dort schon alles steht. Ich fasse hier kurz zusammen, was bei Wikipedia so nicht wirklich vorkommt. Ich zitiere dich hier aus einem Interview: „Euer Bandname entstand wegen langweiligen Schulstunden. ‚Bub‘ Eugen hat einen guten Klang, einem Buben kann man immer mal wieder verzeihen! Hochdeutsch – authentisch, da wir es ja auch so gelernt haben zu schreiben!“ Du, Gesang/Gitarre, und Lenz, Bass/Klarinette/Schwyzerörgeli, beide schon bei TIPEX, erhieltet die Chance, Musik für das Sommertheater Schaffhausen zu machen. Es fehlte aber ein Schlagzeuger. Ein Lehrer der Kantonsschule Schaffhausen, die ihr beide besuchtet, vermittelte euch Martin Fischer aka „Fisch“, Schlagzeug/ Marimba, der zu diesem Zeitpunkt erst 14 Jahre alt war. Ihr nanntet euch zuerst CAFE STALINGRAD und ihr habt unter dem Namen auch die STRASSENJUNGS supportet. Ab Dezember 1983 war dann DER BÖSE BUB EUGEN der Bandname. Euer erstes Konzert fand am 1. Januar 1984 im Frauengefängnis Hindelbank im Bernischen statt. Eure ersten Veröffentlichungen waren alles Musikkassetten, die ihr selbst im Übungsraum aufgenommen habt. Ein typischer Text in dieser Phase, der zeigt, wie ihr mit eurem Provinz-Swiss-Wave-Image – nicht mehr Punk – spieltet, ist zum Beispiel auf eurer ersten Kassette „Fährt ins Land“ in dem Lied „Butterbrot“ zu hören: „Honigbrot und Marmelade, das esse ich so gern / Streich die Butter auf das Brot / Und beiss rein / Schnaps und Bier, ja da pfeif ich drauf! / Lieber trinke ich meine Milch“.

Ist doch lecker, Milch, Butterbrot! Finde ich heute noch. Das ist einem zugefallen, Lenz hatte da auch immer Ideen. Es ging auch darum, was gegen die Biersauferei bei den Punk-Konzerten zu machen, halt die eigene Crowd zu provozieren. Also Tee trinken, oder noch besser: Milch. Ich selber vertrug Alkohol nur schlecht, ich wurde immer schnell sehr müde nach einem Bier. Und es war auch so, dass ich was machen wollte, die Dinge voranbringen. Dafür brauchte man einen klaren Kopf! Straight Edge, bevor es erfunden worden ist, aber ohne Religion.

Ich zitiere diesen Song auch deshalb, weil ich zufälligerweise parallel zu diesem Interview auch an der Publikation „Güllens Grabenhalle Gigs 1984-1990“ arbeite(te). Ich hab da einen Beitrag von dir, Rämi, im Fanzine Skunk von Jogi Neufeld zu einem Treffen bei dir zu Hause mit den Mitgliedern der Berliner Fun-Punk-Band DIE SCHLIMMEN FINGER gefunden. Der Artikel „Stars unter sich – oder wie Eugen Horst traf“ könnte einem deiner Songtexte entstammen. Du erwähnst darin sogar deine Mutter, die euch „Znacht“ zubereitete. Laut Chrigel Braun waren das Kartoffeln und Apfelkuchen ... hahaha. Damals habe ich solche Texte in Fanzines schlicht ignoriert, heute sind das für mich die Perlen schlechthin!
Schön, wenn dir das heute noch gefällt. An den Text kann ich mich nicht erinnern, aber meine Mutter hatte immer ein offenes Haus und sich gefreut, wenn sie die jungen Leute bekochen konnte. Ich habe damals recht viel geschrieben für Fanzines, auch für die Schaffhauser Nachrichten und so weiter. Es gab bald einmal das Cut, das Magazin für Wohlklang aus Zürich, von Michael Lütscher, das dann unter Federführung von Rudolph Dietrich – in der Zeit BLUE CHINA, ehemals NASAL BOYS – in die linke Wochenzeitung Tell integriert wurde. Ich hatte auch ein eigenes Fanzine, Engsoz. Man hat berichtet aus dem eigenen Umfeld, aus anderen Städten hat man Texte von anderen Fanzine-Machern gedruckt. An DIE SCHLIMMEN FINGER kann ich mich erinnern, sehr nette Jungs, die haben für uns auch den ersten Gig in Berlin organisiert im Herbst 1984, als wir dort die erste EP aufgenommen haben.

Woher nahmst du/ihr diese absolute „Gelassenheit“, banale, aber auch doppeldeutige Geschichten in euren Songs zu erzählen, was ja zu eurem Markenzeichen wurde?
Das haben wir uns nicht ausgedacht ... Es ging uns sicher darum, möglichst einfach zu sein und über die Sachen zu singen, die uns direkt und unmittelbar beschäftigten. Waren wir „gelassen“? Da bin ich mir nicht sicher. Wir wollten jedenfalls nicht von der großen Welt träumen, auch musikalisch waren wir nicht an England oder den USA orientiert. Dafür konnten wir auch zu schlecht spielen, also haben wir das Beste draus gemacht und einfach drauflos gespielt. Ein wichtiger Punkt war damals auch, dass wir gegen das Hippiemäßige, Bluesrock, Ausdruckstanz und linke Diskussionsdebatten waren. Der Titel „Zurück zum Beton“ von S.Y.P.H., das war ein Motto, das wir oft im Mund führten. Wir wollten machen, nicht reden.

Wie kam es überhaupt zu eurem ersten Konzert im Frauengefängnis Hindelbank?
Das erste Konzert als DER BÖSE BUB EUGEN spielten wir am 1. Januar 1984. TROTZ ALLEM haben uns eingeladen, eine Drei-Frauen-Band aus Aarau, Bass und Gesang, eine sehr tolle Band. Die hatten die Anfrage vom Gefängnis. Das Konzert war eine Art Neujahrsgeschenk der Gefängnisleitung an die Insassinnen, es waren vor allem Frauen aus Südamerika und Afrika – die haben sich gefreut, dass mal etwas los war. Es war anrührend.

1984: DER BÖSE BUB EUGEN + DIE ÄRZTE

DIE ÄRZTE, die hast du bislang nicht erwähnt als Inspiration. Wie habt ihr euch kennen gelernt? Du hast ja drei Konzerte mit ihnen im Mai 1984 auf ihrer „Uns geht’s prima!“-Tour organisiert – am 1. Mai erschien die gleichnamige 12“ – und ihr seid dort natürlich auch aufgetreten.

Die erste ÄRZTE-EP hat mir sehr gefallen, „Grace Kelly“ oder „Teenager Liebe“ waren tolle Lieder. Auf der Cover-Rückseite war eine Telefonnummer, da habe ich einfach angerufen. Jan Vetter hat abgenommen: Klar, sie würden gerne in die Schweiz kommen. Ich habe dann drei Gigs klargemacht, wir spielten jeweils vor ihnen. Der erste Gig war im Totentanz in Basel, ein ziemlich dröger New-Wave-Schuppen, dann spielten wir in der Roten Fabrik in Zürich, in der späteren Dronenhalle. Der Name ist eine Anspielung auf die Edelfressbeiz Kronenhalle in Zürich. Nach unserem Set artete es aus, nach drei, vier Liedern prügelten Skins DIE ÄRZTE von der Bühne runter. Die waren ziemlich sauer. Es gab damals immer wieder Ärger mit Skins. Die Band wohnte bei uns zu Hause in Thayngen, ich ging ja zur Schule. Wir gingen am Off-Tag mit ihnen auf den Rhein mit dem „Weidling“, einem Flachboot, und sind ein Stück hochgestachelt Richtung Bibermühle. Jan ist in den Fluss gefallen, ein Riesenspaß, außer für ihn. Der Bassist Sahnie hat mit meinem Vater über Uhren und die Frage diskutiert, wie man Gold nach Deutschland bringen kann an der Steuer vorbei. Komischer Vogel. Jan und Dirk hatten schon diese Star-Aura. Die wollten Popstars werden. Das Konzert im Fasskeller in Schaffhausen artete dann nochmals aus. Nicht ganz so schlimm wie in Zürich, aber Bassist Sahnie drosch einem Punk den Bass an den Kopf, weil der ihn angespuckt hatte. Die Stimmung war kaputt danach und gar nicht prima. Damals wollten wir nach der Matura im Herbst ein paar Lieder für eine Single aufnehmen. Aber wir kannten kein Studio in der Schweiz, das wir hätten zahlen können. Wir wollten auch weg aus der Schweiz, wir hatten auch schon ein paar Mal in Deutschland gespielt. Also fragte ich später DIE ÄRZTE nach dem Kontakt zu Vielklang, wo sie die Single aufgenommen hatten. Und so fuhren wir dann im Herbst nach Berlin und haben an der Gneisenaustraße in Kreuzberg die erste EP mit Matzge Bröckel aufgenommen. DIE ÄRZTE unterschrieben im Herbst 1984 dann den CBS-Vertrag und starteten ziemlich durch.
Jetzt wissen wir endlich, warum bei der Zweitauflage ihrer ersten Single Jan Vetters Telefonnummer nicht mehr drauf war.

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Timeline

1983 Stephan „Rämi“ Räming (voc, gt) und Laurenz „Lenz“ Müller (bs) gründen nach Auflösung ihrer vorherigen Projekte DER PEIN und TIPEX zusammen mit Martin „Fisch“ Fischer (dr) die Band. Zuerst als CAFE STALINGRAD, bis sie sich später in DER BÖSE BUB EUGEN umbenennen.

1984 Die Band tritt am 1. Januar zum ersten Mal als DER BÖSE BUB EUGEN im Frauengefängnis Hindelbank auf. Weiterhin sind sie im Frühling als Vorband für DIE ÄRZTE in der Schweiz unterwegs. Im Herbst nehmen sie in Berlin, auf Empfehlung der ÄRZTE, im Vielklang-Studio ihre erste selbstbetitelte EP auf. Die Songs „Leichenwagen“ und „Der lange Mann“ bekommen viel Airplay.

1986 Das Album „Regen im Park“ wird wie die EP zuvor im Berliner Vielklang-Studion aufgenommen und bekam mit Liedern wie „Gaudenz mein“ und „Novembertag“ wieder Radiospielzeit.

1987 Die Band spielt viele Konzerte in Deutschland, Österreich und der Schweiz, unter anderem eins in der Roten Fabrik in Zürich, welches von Radio SRF 3 aufgenommen wird und später als Kassette unter dem Titel „Live auf DRS 3“ veröffentlicht wird. Auf dem Weserlabel erscheint die Single „Mädchen vom andern Stern/Augen wie Revolver“.

1988 Die Lieder für die LP „Nimmerland“ werden im Sommer 1987 und Anfang 1988 aufgenommen und von Jon Langford (THE MEKONS, THE THREE JOHNS) in Wetzikon in der Schweiz abgemischt. Im selben Jahr veröffentlichen sie die EP „Bad Boy Eugene“, auf der die Band Lieder auf Englisch einspielt und von THE CREATION „How does it feel to feel“ covert. Es findet eine ausgedehnte Tour statt.

1989 Für ihr neues Album „Himmel, Hölle und der Fisch“ ist die Band wieder im Berliner Vielklang-Studio, Jon Langford ist wieder Mixer. Später ist man dann mit neuem Material in der Schweiz, in Deutschland und Österreich auf Tour.

1990 Nach der Veröffentlichung der Musikkassette „Picknick im Lärm“ im Februar mit Live-Aufnahmen verlässt Lenz die Band. Die Band formiert sich neu und heißt fortan EUGEN.

1990-1998 Unter neuem Namen und mit zwei neuen Mitgliedern veröffentlichten sie noch zwei Alben: „Gute Zeiten“ (1993) und „Cool (Und aber auch sexy)“ (1997), bis sie sich Anfang 1998 auflösen.

2023 Es erscheint eine Werkschau mit dem Titel „Vielleicht auch ganz anders“ mit 25 neu bearbeiteten Liedern aus der ersten Phase auf Doppel-Vinyl.

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Diskografie

„Fährt ins Land“ (MC, Self-Released, 1984) • „s/t“ (7“, Self-Released, 1984) • „Neun goldene Melodien“ (MC, Self-Released, 1985) • „Regen im Park“ (LP, Organik, 1986) • „Fährt vor“ (MC, Self-Released, 1987) • „Live auf DRS 3“ (MC, Organik, 1987) • „Augen wie Revolver/Mädchen vom andern Stern“ (7“ Weserlabel, 1987) • „s/t“ (Split-MC w/ Guz, Irre Tapes, 1988) • „Nimmerland“ (LP, Organik, 1988) • „Bad Boy Eugen“ (7“, Organik, 1988) • „Himmel, Hölle und der Fisch“ (LP, Organik, 1989) • „Picknick im Lärm – Live“ (MC, Self-Released, 1990) • EUGEN: Gute Zeiten“ (LP, Organik, 1993) • „Cool (Und aber auch sexy)“ (LP, Buback Tonträger, 1997)