TV CULT

Foto© by Marie Laforge

Düstere Aussichten

Das Debüt des Jahres kommt aus Köln! Du stehst auf BLACK FLAG zu „Damaged“-Zeiten und bekommst von Henry Rollins’ Stimme eine Gänsehaut? Du liebst die pumpenden Bässe, das Treibende und Düstere des klassischen Post-Punk? Welcome to the world of TV CULT! Die bekannten Elemente fühlen sich vertraut und gut an, die Kombi ist neu und aufregend! Mit Sänger Marco und Gitarrist/Songwriter Martin unterhielt ich mich über ihren Deal mit Flight 13, die Bedeutung von „Colony“ und erfuhr, dass der Film „Zurück in die Zukunft“ eine männliche Pubertät nachhaltig prägen kann!

Als ich mich auf dieses Interview vorbereitet habe, ist mir aufgefallen, dass sonst kein einziges von euch zu finden ist. Ist das euer erstes?

Marco: In der Tat, ja!

In dem Fall sollten wir damit beginnen, die Band vorzustellen.
Marco: Ich bin zuständig für die Vocals. Die Texte schreibe ich in Kooperation mit Martin. Heute nicht dabei sind Zeini, unser Basser, und Flo, unser Drummer.
Martin: Ich spiele Gitarre und schreibe die Songs.

Du bist Brite, der Akzent ist unüberhörbar.
Martin: Ja, ich bin seit 2010 ist Deutschland.
Marco: Er ist sogar eingebürgert! Haha.

Euer erster Instagram-Post stammt vom 02.12.2019. Habt ihr die Band tatsächlich so kurz vor der Pandemie gestartet?
Marco: Nein, wir hatten bereits Ende 2018 die ersten Proben. Ich bin der Einzige, der alle Mitglieder vorher kannte, und habe die jeweils angesprochen. Es hat sich recht schnell ein gemeinsamer Sound herauskristallisiert. Nach einem Proberaum-Demo haben wir dann über das Tapelabel Mörtelsounds von Jelle hier in Köln ein „richtiges“ 4-Track-Demo aufgenommen und unters Volk gebracht. So ist übrigens auch der Kontakt zu Flight 13 entstanden.

Das wäre meine nächste Frage gewesen ...
Marco: Wir haben das Album aber eigenständig aufgenommen. Eine Förderung der Stadt Köln hat dann zumindest einen Teil der Kosten gedeckt. Flight 13 machen die weitere Labelarbeit, also Promotion und Vertrieb. Wir haben überlegt, ob wir alles so richtig DIY-mäßig selbst in die Hand nehmen. Aber da wir alle Jobs und Familien haben und zudem das extrem aufwändige Booking selber machen, wäre das definitiv zu viel für uns geworden. Wir sind sehr dankbar, dass Flight 13 uns die Zusammenarbeit angeboten hat.

Apropos Booking: Wie ist der Kontakt zu den Briten DITZ zustande gekommen, die ihr ja auf ihrer 2023er Deutschlandtour bei vier Shows supportet habt?
Marco: Über einen Kontakt hatten wir ja bereits 2022 eine Show als Support von DITZ im Gebäude 9 hier in Köln gespielt. Wir haben uns mit ihnen auf Anhieb sehr gut verstanden und so ergab sich das für die Tour in diesem Jahr.
Martin: DITZ sind mega freundliche Leute, die hart für ihre Band arbeiten und dabei extrem professionell sind. Wir haben viel von ihnen gelernt.

Euer Sound zeichnet sich durch zwei Komponenten aus, einerseits dieses Post-Punk-Element – Dark-Vibes, pumpende Bässe und Crooner-Gesang –, andererseits klassischer Punkrock der Marke BLACK FLAG, mit einer Stimme, die angenehm an den jungen Henry Rollins erinnert. Wie hat sich das entwickelt?
Martin: Mein Einfluss liegt bei Bands wie THE JESUS AND MARY CHAIN, alten THE CURE oder ECHO & THE BUNNYMEN. Das mit klassischem Hardcore kombiniert finde ich einfach geil! Diese Crooner-Stimme à la Billy Idol hat sich erst mit der Zeit entwickelt, als es für Marco echt anstrengend wurde, bei jeder Probe neunzig Minuten lang rumzubrüllen, haha.

Ich habe den Eindruck, dass eure Texte eher von Alltagsthemen handeln und nicht explizit politisch sind.
Martin: Das würde ich so nicht sagen. Es gibt eine politische Botschaft, aber die möchte ich nicht in deutlichen Sätzen formulieren, sondern eher vielfältig interpretierbar lassen.

Marco: Ich finde es wichtig, dass wir uns eher in einer abstrakten Bildsprache bewegen. Die Richtung ist schon erkennbar. Die Texte haben definitiv einen düsteren, dystopischen Grundton. Das spiegelt sich dann ja auch im Sound wider. Wut, Verzweiflung und Enttäuschung spielen da eine Rolle.

Wie passt diese Düsternis und Verzweiflung zu eurem Familienleben? Ich habt alle Frau und Kinder ...
Marco: Haha, gute Frage! Der dystopische Aspekt bezieht sich eher auf die Gedanken, die ich mir so mache, wenn ich an die Zukunft unserer Kinder denke!
Martin: Obwohl Mental Health sicherlich in unserem Leben auch ein Thema ist, sind wir alle mit unseren Familien grundsätzlich mega happy. Das düstere Element bezieht sich klar auf die Zukunft.

Was hat Punk heutzutage noch für eine Bedeutung für euch? Oder seht ihr euch primär als Post-Punk-Band?
Marco: Ich war noch nie ein Fan von Labels und fände es auch vermessen, uns als Punks zu bezeichnen. Wir leben hier im Wohlstand, sind Teil des Systems, wenn auch als kleine Rädchen. Jeder hat seinen Job und schaut, dass er über die Runden kommt. Von der Grundeinstellung her sind wir aber Punk, weil wir uns nicht mit dem Status quo zufriedengeben, nicht dem Mainstream verfallen und jeden Konsumzwang mitmachen. Punk bedeutet für uns von daher nicht unbedingt Nietenjacke und Iro. Auf unserer Homepage haben wir uns selbst als „Brutal Post-Punk-Band“ angekündigt und das passt ja zumindest aus musikalischer Sicht, haha.

Und was hat es mit dem LP-Titel „Colony“ auf sich? Das stellt ja klar einen Bezug zu Post-Punk und dem gleichnamigen JOY DIVISION-Song her, oder?
Martin: Haha ... das war Zufall! Damit ist Köln gemeint! In England ist der ursprüngliche Name von Köln „Colony“. Also Kolonie von Agrippina. In Zusammenhang mit dem Albumcover ist das unser dystopischer Ansatz.

Ich schätze, das musst du genauer erklären ...
Martin: Wir haben einen sehr pessimistischen Blick auf die Zukunft. Daher diese Texte. Unsere Zivilisation wird zugrundegehen. Wenn man in Köln unterwegs ist, sieht man ständig die Artefakte einer vergangenen Gesellschaft. Das ist die doppelte Bedeutung von „Colony“: einerseits „Köln“, andererseits als Symbol für vergangene, zerstörte „Kolonien“, also Zivilisationen.

Und wie ist der Zusammenhang eures Songs „White riot“ zum gleichnamigen CLASH-Titel?
Martin: Das bezieht sich schon auf die ursprüngliche Aussage, die Joe Strummer treffen wollte, also auf die Wut der weißen rechtskonservativen Elite, die wir genauso eklig finden, wie er damals.
Marco: Ja, das ist einer unserer wenigen Songs, der offenkundig politisch ist. An der Situation mit den, sagen wir mal, rechtskonservativen alten, weißen Männern hat sich seit Joe Strummer offenkundig wenig geändert, im Gegenteil! Wenn man sich die Wahlergebnisse im Osten der Republik anschaut oder dass hier in Köln die CDU bei „Pro Life“-Märschen Hand in Hand mit solchen Leuten geht, dann kann man eigentlich nur noch dystopische Texte schreiben.

Was hat es mit #televisioncanchangeyourmind auf sich? Darunter tauchen bei Instagram Fotos von euch auf.
Marco: Das ist lediglich ein Hashtag für unseren Song „Videodrome“, der natürlich an den Achtziger-Horrorfilm von David Cronenberg angelehnt ist. „Television can change your mind“ war damals ein Satz aus dem Trailer, der mir so gut gefallen hat, dass ich ihn im Songtext übernommen habe. Im Zuge der Promo für „Videodrome“ fanden wir es witzig, das als Hashtag zu etablieren.

Kommt daher auch euer Name TV CULT?
Marco: Wir alle haben ein Faible für Retro-Fernseh- und Videokultur und konnten uns auch kurz nach der Bandgründung sehr schnell auf „Twin Peaks“ als Lieblingsserie einigen. Aber einen Bandnamen aus diesem Kosmos zu finden, der noch nicht existiert, ist quasi unmöglich, haha! Ich hatte dieses TV-Thema aber immer im Hinterkopf. Und auf der Suche nach einem Namen, der auch gut klingt, bin ich dann auf TV CULT gekommen. Das fanden wir alle passend, weil sich da ja auch zwei Post-Punk-Bands darin verstecken, TELEVISION und THE CULT.

Okay, letzte Frage: Bei so einer TV-Affinität, was sind sonst eure Lieblingsfilme und -serien?
Marco: Das sind zu viele, um sie zu nennen! Aber auch wenn es heutzutage recht cheesy ist, ich bin ein Eighties-Kid und in meiner Jugend hat mich „Zurück in die Zukunft“ sehr beeindruckt. So bin ich auch zum Skaten gekommen.
Martin: Ich bin da auch ganz klar Achtziger-geprägt und nenne mal „Der dunkle Kristall“ und „Das Labyrinth“.

War der nicht mit David Bowie?
Martin: Ja! Und beide Filme sind von Jim Henson, dem Erfinder der Muppets!