GIRLS IN SYNTHESIS

Foto© by Bea Dewhurst

Originalität statt Imitation

John Linger (voc, bs), Jim Cubit (gt, voc) und Nicole Pinto (dr) gründeten GIRLS IN SYNTHESIS 2016. Anfang 2017 erschien mit „The Mound/Disappear“ die erste Single der Londoner Post-Punk/Noise-Band, nach diversen weiteren Kleinformaten unter anderem auf Harbinger Sound kam 2018 die Compilation „Pre/Post: A Collection 2016-2018“ als Quasi-Debütalbum. Diesem folgte 2020 das erste richtige Album „Now Here’s An Echo From Your Future“, 2021 kam die „Shift In State“-12“ und im Sommer 2022, quasi als Vorbote des neuen Albums „The Rest Is Distraction“ auf dem bandeigenen Label Own It, folgte auf dem Berliner Hound Gawd!-Label die 5-Song-45-rpm-12“ „Konsumrausch“. Dort kam im Herbst 2023 mit „Die Leere“ eine weitere 12“-EP, die ich endlich zum Anlass nahm, ein Interview zu führen – und im Gespräch mit Jim und John zu erfahren, dass für das Frühjahr 2024 das dritte Album in Arbeit ist.

Wo sitzt ihr? Sieht nach einem Wohnzimmer aus.

John: Nein, wir sitzen gerade in einem Pub um die Ecke von dem Studio, wo wir gerade unser drittes Album aufnehmen. Wir sind dafür nach East Anglia gereist, in die Nähe von Norwich in England, und es ist das erste Mal, dass wir mit einem externen Produzenten zusammenarbeiten. Heute ist der erste Tag, wir kamen gestern Abend an, nach einer Fahrt durch sintflutartigen Regen, es war furchtbar. Es ist eine ziemlich Umstellung für uns, mit einer externen Person zu arbeiten. Normalerweise nehmen wir alles selbst auf. Aber ich denke, es wird gut sein, wenn wir noch ein weiteres Paar Ohren für das Projekt haben. Das Album wird im Mai 2024 herauskommen, wieder über unser eigenes Label Own It Records. Unserer Meinung nach gibt es keinen Grund, bei irgendjemandem zu unterschreiben, denn wir wollen weder kreativ noch finanziell bei jemand anderem in der Schuld stehen.

Als du eben erwähntest, dass ihr mit einem externen Produzenten aufnehmt, war ich schon darauf vorbereitet zu hören, dass ihr bei einem Label unterschrieben habt.
John: Nein, das ist hier fast wie in unserem Studio. Das hier gibt es seit ungefähr 25 Jahren, es gehört einem Typen namens Owen. Es ist ein sehr ländlicher Teil Englands hier, ringsum ist überhaupt nichts. Es ist wirklich erschwinglich, du kannst dort vor Ort wohnen. Wir haben fünf Tage gebucht und werden den Großteil der Arbeit am Wochenende erledigen und kommen im November noch mal, um es zu mischen. Wir bezahlen alles selbst, wir behalten also die Rechte an der Aufnahme, uns gehört die Platte. Die Entscheidung für dieses Studio auf dem Land fiel auch, um den Stress für uns zu reduzieren. So sehr wir es auch lieben, selbst die Aufnahmen zu machen, so stressig kann es manchmal sein. Deshalb wollten wir uns dieses Mal auf die Songs und die Musik konzentrieren, anstatt uns um die Technik und das Abmischen kümmern zu müssen. Ich denke, wir haben zwei wirklich gute, starke Alben rausgebracht, die ausschließlich von uns gemacht wurden. Aber jetzt denke ich, dass es an der Zeit ist, jemand anderen ans Steuer zu lassen.

Ich habe schon lange erwartet, dass ihr von einem der großen britischen Labels gesignt werdet. Eure Art von, nun ja, Post-Punk, ist in UK ja immer noch angesagt. Und auch im Ausland. Wollt ihr nicht, oder werdet ihr nicht gefragt?
John: Wir werden nicht gefragt, aber wir bringen uns auch nicht in die Position, gefragt zu werden. Ich bin der Meinung, dass der Begriff Post-Punk nicht auf viele dieser Bands zutrifft, die wir wohl beide im Sinn haben. Bestenfalls sind das Indie-Bands. Und das, was wir machen – komplett in Eigenregie –­, ist auch definitiv nicht so verdaulich wie bestimmte Bands. Und nein, ich nenne keine Namen, das wäre nicht fair. Aber diese Bands haben einen „gefälligeren“ Sound als wir, und genau darum geht es, wenn du einen Plattenvertrag bekommen willst. Wir sind viel mehr „Spezialisten“, unsere Musik ist nicht so leicht verdaulich, nicht so zeitgemäß wie die von manch anderen Bands. Wir haben einen anderen Blick auf die Musik, und witzigerweise haben Jim und ich uns gerade eben noch darüber unterhalten, was wir nicht wollen. Nämlich dass jemand Geld in die Band steckt und dann entscheidet, was wir als Nächstes tun sollen. Wir wollen lieber langsam und aus eigener Kraft wachsen, und dafür war Europa für uns immer sehr wichtig. Wir haben bislang zwei Touren in Europa gemacht, und die Reaktionen waren super, vor allem in Deutschland, aber auch in Belgien und Frankreich. Das tun wir zu unseren eigenen Bedingungen, wir spielen so viele Gigs, wie wir wollen, denn wir drei haben normale Vollzeitjobs wie jeder andere auch. Wenn jemand Geld in deine Band investiert, stehst du ihm gegenüber in der Schuld, und das Gefühl, dass jemand anderes bestimmt, was wir tun, mag ich nicht. Wir würden mit einem Label zusammenarbeiten, das uns versteht und uns kreative Freiheit gibt, und uns erlaubt, das zu tun, was wir 100%ig tun wollen. Und das Label müsste dafür sorgen, dass wir unsere Hauptjobs aufgeben können und jeder anderweitig 25.000 Pfund im Jahr oder so verdient. Das ist aber einfach nicht machbar, es sei denn, du verkaufst extrem viele Platten. Also denke ich, dass es für uns einfach keinen Sinn macht, das zu tun.
Jim: So halten wir unser Team klein. Unsere GIRLS IN SYNTHESIS-Welt ist klein und für uns ist das Wichtigste, dass wir die volle Kontrolle über jeden einzelnen Aspekt des Geschehens haben. Das hat vom ersten Tag an gut für uns funktioniert. Wir sind dankbar dafür, was wir bislang erreichen konnten.

Weil ihr gerade von euren Jobs spracht: Was macht ihr im „richtigen“ Leben?
John: Ich arbeite bei einem der größten Verleiher von Filmen für Kinos in Großbritannien. Nicole hat gerade eine britische Filiale der von ihrer Schwester gegründeten Firma für Tattoonadeln aufgemacht, sie heißt Industrial Strength.
Jim: Und ich leite ein Fotostudio im Osten Londons. Wir haben das sogar genutzt, um die Gitarren für das zweite Album aufzunehmen. Wir haben dort auch schon Videos gedreht.
John: Durch unsere „normalen“ Jobs wissen wir diese Band noch mehr schätzen. Wenn du einen harten Arbeitstag hattest und direkt zur Probe gehst, bringt dich das gleich wieder besser drauf. Und wenn du auf Tournee gehst, ist es keine lästige Pflicht, es ist ein echtes Vergnügen. Wir sind keine egoistischen Menschen, wir gehen nicht davon aus, dass uns irgendwas zusteht. Was wir erreicht haben, haben wir uns erarbeitet. Und wir sind ganz bescheiden und freuen uns, dass die Leute zu unsere Konzerten kommen. Das muss auch so bleiben, denn wir wollen nicht zu Leuten werden, die denken, dass ihnen das zusteht.
Jim: Wir haben in jeder Phase unserer Karriere gesagt, wenn wir etwas geschafft haben, das ist erst der Anfang des nächsten Schritts. Was die Leute heute von uns sehen und hören, ist das Ergebnis unserer Arbeit in der Vergangenheit. Wir sind jetzt schon wieder viel weiter. Die Leute wissen nicht, was mit unserem dritten Album auf sie zukommt, es ist ein aufregendes Album und wir haben alles unter Kontrolle.

Ich finde es spannend, euch jetzt erstmals so per Videocall gegenüber zu sitzen und einen direkten Eindruck zu gewinnen. Ich war mir nicht sicher, was mich erwartet, denn ihr hattet es geschafft, euch mit so einer gewissen geheimnisvollen Kultband-Aura zu umgeben. Und anzudeuten, dass hinter der Band mehr steckt, als man zunächst sieht.
John: Gut, dass du das anmerkst, denn es ist wahr. Ich glaube, dass du diesen Eindruck von unserer Band hast, kommt daher, weil so viel in ihr steckt. Wir haben emotional so viel in die Band gepackt. Die Band, das sind wir, reale Menschen, wir spielen keine Rollen. Das ist unser Leben. Ohne großspurig klingen zu wollen, denke ich, dass wir keine Band sind, die klingt und ist wie irgendeine andere. Wenn du also von anderen Bands sprichst, dann haben wir die nicht mal auf dem Radar, wir sind nicht auf der gleichen Wellenlänge. Ich weiß, das klingt hochtrabend, aber ich glaube nicht, dass irgendeine andere Band auch nur annähernd so ist wie wir. Wir finden es spannend, dass wir nicht das Gefühl haben, unser volles Potenzial schon erreicht zu haben. Wir streben ständig nach der nächsten Stufe, und das hält uns frisch. Wir machen das schon seit 2016.

Ihr seid ja eigentlich zu dritt ...
John: Ja, wenn wir „wir“ sagen, reden wir von uns dreien. Unsere Schlagzeugerin Nicole ist aber gerade mit Aufnehmen beschäftigt. Unser Line-up bestand schon immer nur aus uns dreien.

Ihr erwähntet eben, dass ihr das neue Album selbst herausbringt. Aber im Laufe der Jahre habt ihr durchaus mit ein paar Labels gearbeitet, etwa Louder Than War, Harbinger Sound, X-Mist oder aktuell Hound Gawd!.
Jim: Ja, solche Kollaborationen gab und gibt es immer wieder. Die Zusammenarbeit mit Steve von Harbinger Sound etwa war großartig, und wenn wir in Südengland spielen, kommt er zu unserer Show. Und er ist immer mit Ratschlägen zur Stelle, wenn wir sie brauchen. Das Gleiche gilt für Oliver von Hound Gawd! aus Berlin, den wir erst vor kurzem kennen gelernt haben. Letztes Jahr haben wir eine 12“-Veröffentlichung mit ihm gemacht und jetzt wieder. Wir lieben es, zwischen den Alben ganz eigene, kreative Sachen machen können. Es gibt keine Erwartungen, und wir können solche Platten veröffentlichen, die noch mal in eine ganz andere Richtung gehen.
John: Wir haben immer gesagt, dass die EPs oder Mini-Alben, die wir zwischendurch veröffentlichen, anders zu behandeln sind als ein richtiges Album. Sie sind also eher experimentell. Unsere Alben sind mehr auf den Punkt und geplanter als die Mini-Alben und EPs. Manches davon klingt wie von einer andere Band, wir haben da wirklich schon wilde Sachen gemacht. Mit all den Leuten, die wir bislang kennen gelernt haben, kamen wir gut klar und wir haben von jedem etwas gelernt. Ich denke, wir könnten durchaus mit einem dieser Labels auch bei einem Album zusammenarbeitet, aber andererseits können wir das eben auch selbst machen.

Die Achtziger Jahre waren die große Zeit der Maxi-Singles, der 12“s. Auch viele Bands aus dem Wave/Goth-Bereich veröffentlichten welche, entweder mit exklusiven Non-Album-Songs oder mit Extended Versions, Remixen, etc., was einem nicht immer gefallen hat. Da gab es auch mal irgendwelche 12-Minuten-Dub-Remixe.
John: Ja, wir mögen diese Maxi-Singles von damals, und unsere Releases sind auch durchaus eine Anspielung auf diese Vergangenheit. Wir mögen etwa die Dub-Sachen von KILLING JOKE. Diese besonderen Releases machen einfach Spaß, sie sind auch ziemlich schnell umzusetzen. Sie sind nicht so geplant und durchdacht wie die Alben, sondern eher instinktiv.

Was hat es mit eurem Spiel mit deutschen Titeln auf sich? Die eine 12“ von 2022 hieß „Konsumrausch“, die aktuelle „Die Leere“.
John: Das ist so eine Art respektvolles Kopfnicken in Richtung Oliver von Hound Gawd! und seiner Arbeit für uns. Wir fanden das passend für eine deutsche Veröffentlichung. Wenn wir einen französischen Release machen würden, würden wir uns einen französischen Titel ausdenken. Wir fühlen uns als eine internationale Band. Ich weiß, wir klingen sehr englisch oder britisch, aber wir denken über Landesgrenzen hinaus, wir mögen Musik von überall her und wollen das auch in unseren Veröffentlichungen widerspiegeln – auch wenn wir nie wie DAF klingen werden.
Jim: Und für unsere englischen Fans klingen solche deutschen Titel irgendwie exotisch.

Wie wichtig ist euch das Live-Spielen? Ihr habt ja offensichtlich auch viel Spaß daran, im Studio an Musik zu schrauben.
Jim: Live zu spielen ist für mich immer schon der Hauptaspekt gewesen, um unseren Namen bekannter zu machen. Eine Live-Show ist ein ganz besonderes Erlebnis, das wir von Anfang wertgeschätzt haben. Wir lieben die Interaktion mit dem Publikum. Wir lieben es, Platten zu machen, aber live hast du nur eine Chance, du lebst in dem Moment, und dann ist der wieder weg.
John: Wenn wir bei Gigs zu dritt auf der Bühne stehen, passiert etwas zugleich Einzigartiges, Originelles und Unheimliches. Ich meine nicht unheimlich im Sinne von düster, sondern insofern, dass bei unseren Gigs eine „greifbare“ Atmosphäre herrscht, und das kann vor zehn Leuten sein oder vor tausend, egal. Tatsache ist, dass niemand unsere Gigs mit dem Gefühl verlässt, nichts erlebt zu haben. Und jeder Auftritt ist anders, die Lieder entwickeln sich weiter, kein Konzert gleicht dem anderen. Die Lieder des Albums sind auf der Bühne wütender. Da kommt der Performance-Aspekt hinzu ...
Jim: Die Musik treibt uns an und die Performance ist ein Produkt dessen, was wir fühlen. Nichts davon ist einstudiert, es ist spontan.

Wie seid ihr musikalisch an den Punkt gekommen, an dem ihr jetzt steht? Ihr spielt ja nicht typischen britischen Punkrock, ihr seid keine Oi!-Band.
John: Das hat etwas damit zu tun, dass unsere Geschmäcker recht unterschiedlich sind. Die Band wurde von Jim und mir gegründet, kurz bevor wir Nicole kennen lernten. Wir hatten schon ein paar Songs und spielten zu der Zeit in einer anderen Band, die einen Sound in der Richtung von STEREOLAB machte. Wir hatten einen Gig mit dieser Band in Paris und wir beide tranken nach der Show noch etwas zusammen. Ich sagte, ich würde gerne mal was anderes probieren, und so haben wir uns hingesetzt und die Idee der neuen Band entwickelt. Wir hatten also ein bestimmtes Ziel, wir wollten Aspekte verschiedener britischer Subkulturen kombinieren. Wir fühlen uns sehr stark mit der Mod-Bewegung verbunden, das führt dann zu den Skinheads der Sechziger Jahre, Reggae und Dub, und dann geht es weiter mit Disco und Jazz-Funk in den Siebzigern. All das sind miteinander verbundene britische Subkulturen, man kann die Linie verfolgen. Und diese Tradition war für uns genauso einflussreich wie die Musik, die uns konkret geprägt hat. Jim und ich sind große Soul- und Reggae-Fans. Wir haben uns auch viel Post-Punk angehört, aber das ist für keinen von uns das wichtigste Genre. Ich mag eine Menge davon, ich bin mit PiL, GANG OF FOUR und SIOUXSIE & THE BANSHEES aufgewachsen. Aber der Grund dafür, warum unsere Musik nicht so eindeutig identifizierbar ist, ist der, dass wir nicht wollen, dass sie wie eine Parodie von etwas wirkt, das wir mögen. Wenn wir wollten, könnten wir wahrscheinlich eine wirklich passable SIOUXSIE AND THE BANSHEES-Imitation abliefern. Aber SIOUXSIE AND THE BANSHEES sind selbst unglaublich, warum sollten wir das also tun wollen? Stattdessen schmeißen wir alle Einflüsse in den Mixer und machen unser Ding – so wie PUBLIC IMAGE LIMITED das bei „Metal Box“ gemacht haben: Da bekommst du Disco, Dub und experimentelle Musik. So schaffst du etwas völlig Einzigartiges. Wir haben unsere „Metal Box“ noch nicht gemacht, aber wir versuchen, etwas zu kreieren, das im Wesentlichen nach uns klingt. Denn ich höre viele aktuelle Bands und manchmal denke ich mir: Hm, haben die auch nur eine eigene Idee? Originalität kommt daher, dass man versucht, Dinge zu vermeiden, statt sie nachzumachen, zu imitieren. Manchmal weißt du, dass du eine Idee nicht weiterverfolgen kannst, weil sie zu sehr nach etwas anderem klingt. Sobald wir merken, dass wir da ein Klischee in unserer Musik haben, entsorgen wir das.

Wie alt seid ihr, wenn ich fragen darf?
Jim: Ich bin 36 ...
John: ... und ich bin gerade 40 geworden. Nicole? Es wäre unhöflich, eine Dame nach dem Alter zu fragen ... Wir sind nicht jung, wir sind keine Teenager, wir sind keine zwanzig mehr. Wir alle waren schon in anderen Bands und haben es mit GIRLS IN SYNTHESIS geschafft, eine Menge Zeitverschwendung zu vermeiden. Wenn man jünger ist, verbringt man oft vier Stunden damit, darüber zu diskutieren, welches T-Shirt man an diesem Abend auf der Bühne tragen wird. Das machen wir nicht. Und wir diskutieren auch nicht über die Frisur der Schlagzeugerin.

Neulich habe ich mit einer jungen britischen Post-Punk-Band gesprochen, und im Gegensatz zu euch fällt mir auf, wie wenig reflektiert die waren. Tolle Musik, aber nicht viel Inhalt, das war mein Eindruck.
John: Ich liebe diese, unsere Band, also beschäftige ich mich die ganze Zeit damit. Und ich will nicht irgendwann zurückblicken und etwas bereuen. Also möchte ich bestimmte Fehler lieber gar nicht erst machen, verstehst du? Und tja, kommerzieller Erfolg ... was ist das denn? Künstlerischer Erfolg ist das, was wir wollen. Kommerzieller Erfolg ... ich weiß nicht einmal, was das bedeutet.

Vielleicht die Anzahl der Streams bei Spotify? Die Social-Media-Reichweite? Ist das für euch von Bedeutung, verfolgt ihr das?
John: Tatsache ist, dass du Millionen von Follower:innen auf Instagram haben kannst, aber das bedeutet nicht, dass es sich auf etwas anderes auswirkt. Wenn wir eine Show in Belgien ausverkaufen, obwohl wir dort vorher noch nie aufgetreten sind, dann bedeutet uns das eine Menge. Und wenn wir unsere Gage für den Gig mit Merchandise-Verkäufen verdoppeln oder verdreifachen, dann sagt das etwas aus. Ob die Leute unsere Posts in den sozialen Medien für witzig halten oder ob die Leute unsere Musik streamen, das ist uns eigentlich egal. Tatsache ist, dass wir genug Platten verkaufen, um damit weitere Platten finanzieren zu können. Wir verkaufen reichlich T-Shirts bei unseren Konzerten. Die Leute kommen zu den Shows, und wir bekommen viele Angebote für Konzerte, vor allem in Europa – und das ist eine ganz andere Welt als Großbritannien, muss ich sagen. Die wichtigste Frage und Antwort ist aber: Mache ich das gerne? Ja oder nein? Wenn es mir keinen Spaß macht, dann gehe ich doch besser meinem normalen Job nach und verdiene damit gutes Geld. Macht uns die Band Spaß? Darum geht es! Viele Bands, die ich über die Jahre kennen gelernt habe, die einen Plattenvertrag, kommerziellen Erfolg und viele Fans hatten, die haben sich am Ende trotzdem gehasst. „Erfolg“ hat also nichts zu bedeuten, wenn es dazu führt, das du hasst, was du tust. Wir jedenfalls lieben es, in dieser Band zu sein, sie bedeutet uns alles. Und wenn das mal nicht mehr der Fall ist, werden wir einfach aufhören. So einfach ist das.

Ist das eine weise Erkenntnis, die mit dem Alter kommt?
John: Mit zwanzig denkst du nicht über so was nach. Da lebst du von Tag zu Tag. Genau darüber sprach ich mit Jim vor diesem Interview: Wenn ich mit zwanzig Jahren einen Plattenvertrag bekäme und eine bestimmte Summe pro Woche verdiene, würde ich nie mit der Party aufhören. Es würde einfach immer so weitergehen, oder? Bis das Geld ausgeht und ich mich mit meinen Bandkollegen zerstritten habe und dann ist es vorbei mit der Band. Glück oder Erfüllung kann man nicht kaufen. Ja, Geld hilft, aber es ist nicht alles.

Ich muss zum Ende des Interviews noch die dumme Frage stellen ... David Bowie singt im wundervollen „Ashes to ashes“ die Zeilen „The shrieking of nothing is killing, just pictures of Jap girls in synthesis“. Stammt euer Bandname aus diesem Bowie-Song?
John: Ja, also im Wesentlichen schon.
Jim: Vielleicht, wer weiß?
John: Die Antwort ist nicht sehr sexy, aber als wir uns das erste Mal trafen, war das zu der Zeit, als David Bowie gerade gestorben war. Wir sind beide große Bowie-Fans. Sowieso, wenn Leute sagen, dass sie Bowie nicht mögen, dann frage ich mich, was will man denn dann eigentlich mögen? Dann kann man ja auch sagen, dass man die BEATLES nicht mag. Für uns war der Tod von Bowie damals echt eine große Sache. Wir wollten keinen Namen wie THE DICKHEADS oder so was. Wir wollten einen, der nicht mit einer bestimmten Musikrichtung, einer bestimmten Zeit oder einer Identität in Verbindung gebracht werden kann. Ich hörte gerade „Ashes to ashes“ über Kopfhörer und der Text von dem Song ergab wenig Sinn. Man kann nicht wirklich verstehen, was Bowie da singt. Seine Stimme ist wirklich seltsam bei dem Song und obwohl ich das Lied kenne, seit ich klein bin, hatte ich mir nie den Text dazu durchgelesen. Das tat ich also und fand die Worte „girls in synthesis“ darin – erstaunlich. Was das bedeuten soll? Keine Ahnung, wir haben es einfach benutzt. Es steckt also nichts Großartiges dahinter, wir wollten einfach eine Namen, der zeitlos ist. Und der Name einer Band gewinnt an Bedeutung, je länger die Band besteht. THE BEATLES, THE KINKS ... irgendwie drückt das aus, was die machen. Und es gibt auch ein paar nicht so gute Namen ... IDLES ... schrecklich. Hast du deren neue Single gehört?
Jim: Schrecklich ...
John: Die sollten sich jetzt auflösen.

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Diskografie
„Suburban Hell E.P“ (7“, Blank Editions/Own It, 2017) • „We Might Not Make Tomorrow E.P“ (7“, Blank Editions/Own It, 2018) • „Fan The Flames E.P“ (7“, Blank Editions/Own It, 2018) • „Pre/Post: A Collection 2016-2018“ (LP, Louder Than War, 2018) • „Arterial Movements“ (7“, X-Mist/In A Car, 2019) • „Pressure“ (7“, Own It, 2019) • „The Mound/Disappear“ (7“, Own It, 2020) • „Now Here’s An Echo From Your Future“ (LP/CD, Harbinger Sound, 2020) • „Shift In State“ (LP, Harbinger Sound, 2021) • „Watch With Mother“ (7“, Own It, 2022) • „We Tried So Hard“ (7“, Own It, 2022) • „Konsumrausch“ (12“, Hound Gawd!, 2022) • „The Rest Is Distraction“ (LP/CD, Own It, 2022) • „Die Leere“ (12“, Hound Gawd!/Own It, 2023)