DIE STIMME DER VERNUNFT

Foto© by Kalle Stille

Teilweise „Normalität“

179. Woche – Teilweise „Normalität“
- Relevanz und Rezeption. In den letzten Jahren habe ich bei der Rechtfertigung für den penetranten Fortbestand von Bands immer wieder und wieder einen Satz lesen müssen: „... unsere Texte sind immer noch relevant.“ Manche Dinge haben eine ewige Relevanz, zum Beispiel „Fass dir nach dem Eincremen mit Finalgon nicht ins Auge oder an die Weichteile“, „rote Herdplatte blöd“ oder „Keine Alligatoren streicheln“. Gemäß der Maxime „Talk – Action = Zero“ fehlt bei der Relevanz fast immer die Komponente der Rezeption. „Rezeption?“ fragt er/sie naiv.
- Sicherheit. Alter IT-Recke: „Die einzig echte Konstante bei Microsoft sind die DOS-Befehle.“ Junger DH-Hüpfer: „Was ist DOS?“
- Ausgekocht. Manche fallen aus Hochhäusern, einige von Yachten, manche aus Kellerfenstern, wieder andere fallen mit einem ganzen Flugzeug nach unten. In Mütterchen Russland ist letzten Endes alles nur eine Frage der Fallhöhe.

180. Woche – Feinstaub im Homeoffice, auswärtig so oft es geht
- Fachkräftemangel. Ali Baba und die 14 Räuber. Raubzüge: Montags bis mittwochs und nach vorheriger Terminabsprache.
- Plage. Wenn du dir gerade ein Getränk eingeschenkt und noch, bevor du die Flasche abgestellt hast, bereits die ersten beiden Fruchtfliegen darin ihr Seepferchen machen, dann solltest du dringend was gegen die Viecher unternehmen.
- Elternschaftstest. Kann und darf man seine Verwandtschaft verleugnen? Das Argument, „Aber ich bin doch ... (deine Mutter, dein Vater, dein Bruder, deine Schwester, ***)“, quasi vom selben Fleisch und Blut, soll für alles entschädigen, was nicht in Ordnung ist zwischen euch. Eine Schuppenflechte, ein fieser Pickel oder ein Abszess sind auch von deinem Fleisch und Blut, sie enthalten sogar zweifelsfrei 100% deines Erbguts, ganz ohne jeden Test, trotzdem würde niemand auf die Idee kommen, dafür so etwas wie „Liebe“ einzufordern. „Ich bin’s, dein Pickel, du musst mich achten und in Ehren halten, schließlich bin ich das Kind deiner ungesunden Ernährungsweise.“
- Du sollst deine Eltern lieben und ehren! (Rose & Fred West)

181. Woche – Es bleibt schwierig
- Glaubichnich. Was ist der Unterschied zwischen Freddy Krueger und dem Klimawandel? Dem Klimawandel ist es scheißegal, ob du an ihn glaubst oder nicht. Er kommt und trocknet dir erst deinen Schrebergarten aus, um ihn vier Wochen später einfach wegzuspülen, außerdem kommt er auch, wenn du wach bist.
- AAN. Alt, aber nervig! – Mir schwebt eine App für rüstige Rentnernervärsche vor, die für schmales Zubrot gerne für andere den Nachbarschaftsstreit austragen, schlechte Ärzte verpfeifen (inklusive mieser Bewertungen bei Google und TripAdvisor), endlose Beschwerdebriefe an Behörden schreiben, weil sie eh nix mehr zu verlieren haben, und aus Versehen Autos mit ihren gepimpten Rollatoren rammen, die mit Warnblinker auf dem Gehweg stehen. Auch wenn das nicht gleich klappt, habe ich eine Aufgabe für die eigene Rente.
- Be prepared (imnotwell.org). Um den Nachrichten über den Tod eines verehrten Musikers, Künstlers oder anderweitig kulturschaffenden Menschen aus der prägenden Phase unseres Daseins nicht unvorbereitet entgegentreten zu müssen, schlage ich eine Datenbank vor, in der sich solche Menschen (oder die, die sich dafür halten) eintragen können. Die Adresse „imnotwell.org“ dient einzig und alleine der Vorbereitung einer Anhängerschar auf ein mögliches Ableben eines verehrten Menschen. Als Devotee kann man eine Liste mit Namen hinterlegen, bei deren Unwohlsein man per Mail bitte informiert werden möchte, um die Plattensammlung schon mal vorzusortieren oder Überstunden anzusammeln, um eventuell auf die Beerdigung zu können, ohne einen Urlaubstag zu opfern. Die Rezipienten mögen sich bei ersten Anzeichen auf das nahende Ende bitte eintragen, damit niemand der Schlag trifft.

182. Woche – Am Platze
- Mousepads ergeben hervorragende Biermatten. Dummerweise leidet darunter ihre Kernkompetenz als Mausmatte.

183.-185. Woche – Was als Urlaub begann ...
- Am Tag, als Roger Whittaker starb. Gefühlt war es das erste Mal, dass niemand in meiner musikalisch verkommenen Blase auch nur irgendeinen Clip oder eine Platte ausgegraben hat, um den Tod des Großmüttertrösters zu zelebrieren. Es gibt Dinge, über die man besser schweigt.
- Der Unmutsführer. Meine neueste Geschäftsidee mit Erfolgsgarantie ist ein Reiseführer, bei dem Ungemach unter den Wanderfreunden vorprogrammiert ist. Falsche Angaben zu Schwierigkeitsstufen, Höhenmetern und Länge, empfohlenem Schuhwerk („Hier können Sie getrost mit Flip-Flops flanieren“) sind ebenso irreführend wie die Ausflugsziele, bei denen man statt des erhofften Ausblicks eine hübsche Giftmülldeponie, Industrieruine oder eine Kläranlage vorfindet. Sonderrubrik: Wanderungen für Eltern, die ihre Kinder hassen und gerne eines unterwegs verlieren würden.
- Vonihila. Wenn der Vokuhilaträger in die Jahre kommt: Vornenixhintenlang!
- RKH Ludwigsburg. Wenn es ein Krankenhaus gibt, in das ich auch mit einem rostigen Schwert im Schädel unter gar keinen Umständen eingeliefert werden will, dann ist es dieses. Wie eine Bewertung mit mehr als einem Stern zustande gekommen ist, lässt nur den einen Schluss zu, dass die Leute zu dumm für ein Bewertungssystem sind.
- 04.10.2023, 18:00 Uhr. Mein Leben als Vollwaise beginnt.

186. Woche – Mit dem Kopf irgendwo anders
- Eltern schocken. Passend zur Nahostscheiße hat das Mädchen von ganz oben auf Muslima umgestellt. Ich erschrecke jedes Mal, wenn ich an der Waschküche vorbeilaufe und dort einen Sensenmann aus dem Augenwinkel erblicke. Ist dann aber doch nur der Hijab und das passende Kleid in Schwarz mit dem strumpfsockigen Mädchen drunter. Nachdem sie in den letzten sechs Jahren schon mehrere Verwandlungen mit bunten Haaren, Bomberjacke und Hippieklamotten durchlaufen hat, hege ich die Hoffnung für sie, dass auch das nur eine Phase ist, bis ihr fusselbärtiger Freund gegen einen anderen eingetauscht wird. Wenn ich es mir recht überlege, ist das wahrscheinlich eines der wenigen Dinge, mit denen man seine bis zum Anschlag toleranten Eltern eventuell noch aus der Reserve locken kann. Den Nachwuchsnazi gibt es ja inzwischen in jeder „besseren Familie“, aber einen potenziell explosiven Konvertiten oder eine Nonne, die etwas aus der Mode gekommen ist, eignet sich eventuell dann doch noch, um zu „protestieren“, gegen was auch immer.
- Peace-Punks. Es nützt dir wenig, für den Frieden zu tanzen, wenn der uneingeladene DJ mit einer Knarre am Plattenteller steht. Die Frage ist, ob beide Seiten denselben Zugang zu Musik haben und ob es etwas bringt „Give peace a chance“ oder „Imagine“ in Dauerschleife abzunudeln, wenn auf der anderen Seite nur Militärmärsche oder Opfermusik laufen, wenn sie nicht ohnehin komplett verboten ist. Wenn die Botschaft nur einseitig ist, wird es irgendwann einmal blöd (siehe 179. Woche „Rezeption“), denn Frieden müssen beide Seiten wollen, sonst verhält es sich wie mit dem Fist-Fight, bei dem die eine Partei wirklich nur mit den Fäusten kommt, während die andere eine Knarre dabei hat.
- Nicht sicher. Ist das KI oder ein echtes Bild? Nicht sicher?! Hände! Immer auf die Hände schauen. Gute KI macht erst gar keine Hände, weil die so schwierig sind, mit den fünf Fingern. Kann KI eigentlich auch keine Pferde?
- Jollydays. Ich weiß, dass ich längst aus jeder werberelevanten Zielgruppe geflogen bin, mit Ausnahme von Inkontinenzeinlagen, nahezu unsichtbaren Männerwindeln, Treppenliften, Potenzmitteln, Revitive und Rennrollatoren (zum Glück brauche ich aktuell noch nix davon), dennoch irritiert mich optimistische Onlinewerbung mit strahlend fröhlichen Menschen, die vor Kriegsberichte gepackt werden, zutiefst. Wer kann und will sich nach einem Bericht über ein Massaker denn noch an den tollen neuen Peugeot, den tollen Pauschalurlaub in der Türkei oder das gesunde Quellwasser erinnern? Manche penetrante Dauerwerber verbinde ich mittlerweile instinktiv mit ausschließlich schlechten Nachrichten, vor allem die, die vor einem ehemaligen Präsidentenimitat geschalten werden. Wäre ich Werber, würde ich mein Buchungskonzept überdenken.
- Diskrepanz. Nach Lesen eines sehr langen und gut recherchierten Artikels über die Strukturen der inzwischen verbotenen Hammerskins, war ich doch ein wenig erstaunt und irritiert zugleich. Hammerskins wählen (! demokratisch !) ihren „Vorschlaghammer“. Aha, ich dachte immer, dass antidemokratische Vereine ihren Führer ausknobeln, nach dem Last-Man-Standing-Prinzip ausprügeln oder wenigstens Strohhalme ziehen. So kann man sich irren.
- Nicht in meinem Namen. Als hart praktizierender Atheist muss man sich schon über religiös motivierte Konflikte wundern. Sie erscheinen einem stets so sinnlos wie ein Fischmesser zum Käsefondue.
- Togal. Mit Erreichen eines gewissen Alters stelle ich zu meinem Erstaunen fest, dass es sehr wohl eine Steigerung von „istmiregal“ gibt.

187. Woche – Zwischenwelt
- Nachsorge. Erstaunlich, was für Arschgeigen auf einmal noch alles Geld wollen, weil sie nur „quartalsweise“ abrechnen. Manche liefern auch noch munter weiter, auch wenn die Person bereits verstorben ist, und wollen Zaster. In solchen Fällen rufe ich dann gerne an und frage nach, wer den Empfang bitte schön quittiert haben soll, weil Verstorbene eher weniger geschäftstauglich sind.
- Sterbeurkunde. Eine der Must-Have-Sammelkarten aus dem „Spiel des Ablebens“, die man definitiv besitzen muss, um weiterzukommen.
- COPD. Mein spezieller Dank, insbesondere für die letzten 15 Jahre, geht an: Philip Morris, British American Tobacco, Reemtsma und Imperial Tobacco. Danke für nix und noch mal nix. Wenn man dank euch zusehen kann, wie Menschen verzweifelt um ihren letzten Atemzug ringen, gibt es nur eine Erkenntnis: Die Hölle wäre noch zu gut für euch.