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Dialekt-Texte im Punk?

In der Regel ist Rock- und Popmusik in Mundart ein regionales Phänomen, etwa „Kölschrock“, Musik mit plattdeutschen Texten, penetrant berlinernder Pop, bayerischer Zungenschlag und Liedermacher-Mucke. Punk- und Hardcore-Bands halten sich in Sachen Dialekt-Texte weitgehend raus, in Deutschland zumindest, denn wenn in New Yorker Slang losgelegt wird oder einst in Londoner Cockney oder wie bei den SLEAFORD MODS, stört das niemand. Aber Punk mit schwäbischen, sächsischen oder bayerischen Texten? Eher unbekannt. In der Schweiz und Österreich hingegen wird gerne mit regionalem Zungenschlag getextet.

Dafür
Weltweit sprechen etwa 100 Millionen Menschen Deutsch als Muttersprache. In Deutschland, Österreich, der Schweiz, Liechtenstein und so weiter. Und viele dieser Menschen sprechen eben Mundart, einen der vielen existierenden Dialekte. Und die Volksmusikbands, die singen auch so. Von Bergen, Madeln und der Hoamat. Die Punkrock, die Hardcore- und die Metal-Bands nicht. Die singen und grölen in Englisch und die Deutschpunk-Bands halt auf Deutsch. Schon in den 80er Jahren hingegen sangen die Bad Ischler KURORT im oberösterreichischen Dialekt, die Harmonika-Punker ATTWENGER seit den 90ern. Denn nein, nicht alle, die in der Sprache, in der sie erzogen wurden, die sie eben in allen ihren regionalen Eigenarten seit Kindheitstagen sprechen, sind heimattreue Idenditätsrocker. Auch all die Austropop-Bands, die seit Jahrzehnten in ihren entsprechenden Wiener oder steirischen Slangs singen, waren und sind eher linksgerichtet und der schönen Heimat kritisch gesinnt. „Wir sprechen im Dialekt, wir denken im Dialekt, da ist es nur logisch, dass wir auch im Dialekt singen“, sagt dazu Tom von der GLUE CREW aus dem Salzburger Land. Die Kollegen von FRANZ FUEXE aus dem niederösterreichischen Mostviertel sehen das ähnlich: Warum anders singen als in der Sprache in der sie aufgewachsen sind und sich am besten ausdrücken können? Ja, warum eigentlich? „Wir reden in derbster Mundart, da kann man noch so viel Wortwitz und Charme reinlegen, das klappt im Hochdeutschen nicht“, meint dazu Andi von HECKSPOILER aus dem oberösterreichischen Mühlviertel. Und recht hat er. „Wenigstens bin i ka gschissene Nazisau wie du“, klingt im Hochdeutschen halt echt nicht gut. Obendrein bekommen Hardcore- und Metalbands durch ihre jeweiligen Dialekte eine gewisse Härte in den Gesang, die da sonst nicht wäre, während GLUE CREW oder vorhin erwähnte ATTWENGER dadurch an Charme gewinnen.
H.C. Roth

Dagegen
Ich bin in einer schwäbischen Kleinstadt hochdeutsch aufgewachsen, und schon als Jugendlicher erfüllte mich regional beliebte Dialektmusik etwa von Wolle Kriwanek oder SCHWOISSFUASS mit Fremdscham. Die geistige Enge und der Konservativismus der Region waren und sind für mich mental untrennbar mit dem Dialekt verbunden. Als BAP Mitte der Achtziger bekannter wurden, fand ich deren politische Einstellung zwar gut, die Sprache, den Kölner Dialekt, aber schlimm. Als ich Punk dann entdeckte, war Dialekt sowieso keine Frage: (broken) English war Standard, und die Bands mit deutschen Texten sangen diese ohne erkennbaren regionalen Zungenschlag. Internationalismus gut, alles Volkstümelnde (dafür stand Dialekt für mich immer) und Kleinbürgerliche schlecht – klare Verhältnisse. Dass das von Punks in anderen Ländern, in anderen Regionen wie etwa im Baskenland oder in Katalonien anders gesehen wurde und wird, dass es hier um Identität, Macht und Unterdrückung ging, so weit dachte vor 25, 30, 35 Jahren niemand von uns – schon gar nicht bezogen auf den deutschen Sprachraum inklusive Österreich, Schweiz und Luxemburg. Dass nun in den letzten vielleicht 20 Jahren gerade in Österreich und der Schweiz, wo Dialekt-Texte schon in der Punk-Urzeit Ende der Siebziger, Anfang der Achtziger (k)ein Thema (weil normal) waren, dieses, nun, „Genre“ wieder boomt, nehme ich viel reflektierter wahr als mit 15 oder 20, und im Falle dieser Länder stört es mich auch nicht. Beim Gedanken an Punkrock mit derbe sächselnden und auch in Dialekt verschriftlichten Texten allerdings gruselt es mich, wie auch bei der Vorstellung von Schwabenpunk, Frankenpunk, extremberlinerndem Punk, Kölschpunk. Nie wirklich gestört freilich hat mich das Regionale bei den LOKALMATADOREN – warum auch immer. Mein Fazit? Bleiben wir besser bei Hochdeutsch.
Joachim Hiller