ANGERBOYS

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Viele Gründe für Wut und Frustration

Denkt mensch an Punk im Pott, kommt einem Recklinghausen nicht gleich in den Sinn. Mit ihrer im Oktober erschienenen neuen EP „Against A Wall“ sorgen die ANGERBOYS ein weiteres Mal dafür, dass sich das zukünftig ändern wird. Mit Sängerin Sharou aka Taylor Snifft und Gitarrist Zotti traf ich mich zu einem Interview in feistem Ruhrpott-Deutsch und in kuscheliger Atmosphäre.

Wer sind die ANGERBOYS?

Sharou: Die ANGERBOYS, das bin ich am Mikro, Benni am Bass, Dustin an den Drums und Zotti an der Gitarre.

Wie habt ihr zusammengefunden?
Zotti: Wir kannten uns schon lange. Wir alle kommen ursprünglich aus Recklinghausen und ein großer Teil von uns lebt hier auch noch, weil irgendwer muss da ja leben. Hier gibt es nur eine kleine Anzahl Punks. Wir waren alle in derselben Clique und hatten zuvor auch schon gemeinsam in anderen Bands gespielt. Das ist so der typische Band-Inzest, den man in Gegenden außerhalb von Leipzig und Berlin häufiger antrifft. Benni, Dustin und ich hatten zu Jammen begonnen und dann kam Sharou dazu. So ein halbes Jahr später.
Sharou: Hatten wir da schon im Punker-Haus gewohnt? Ich meine schon.
Zotti: Ja, da wohnten wir noch im Punker-Haus. Also wir haben auch alle zusammengewohnt die ersten zwei Jahre.

Was ist denn das Punker-Haus?
Zotti: Das Punker-Haus war eine WG.
Sharou: Das ist ein großer Altbau direkt gegenüber vom Busbahnhof in Recklinghausen. Da hatten wir auf mehreren Etagen das ganze Haus bewohnt. Mittlerweile steht das Haus aber komplett leer.

Ist das Haus „leergezogen“ worden oder seid ihr freiwillig gegangen?
Sharou: Teils, teils.
Zotti: Eigentlich haben wir das Haus freiwillig verlassen. Das Wohnprojekt gab es so 14 Jahre. Nach der Zeit hatten wir alle Bock, neue Wege zu gehen, wie das eben so ist, und das Projekt löste sich auf. Der Vermieter trug auch seinen Teil zu dieser Entwicklung bei, weil er konstant nicht wollte, dass wir auf der Dachterrasse anbauen.
Sharou: Es geht auch in Recklinghausen in Richtung Gentrifizierung. Der Vermieter spekuliert auf ein aufgewertetes Bahnhofsviertel.

Seid ihr musikalisch vor den ANGERBOYS bereits aktiv gewesen?
Zotti: SPIT PINK könnte man kennen, da war ich aktiv. Ich war auch noch bei vielen kleinen, obskuren Projekten dabei. Benni und Dustin hatten vorher eine Band namens TRASH KINGS und waren auch noch in anderen Bands aktiv.
Sharou: Aktuell hat Benni noch eine Stoner-Band im Aufbau, die ihren Namen dauernd wechselt. Für mich sind die ANGERBOYS die erste „richtige“ Band. Ich hatte davor ein Projekt mit drei Freundinnen. Aber keine von uns konnte ein Instrument oder so. Es waren die ersten Versuche, etwas hinzubekommen. Einen Song haben wir immerhin gemacht. Das war mein Einstieg in die Musik. Auf ein Mädels-Punk-Projekt hätte ich noch mal richtig Lust. Aber dazu fehlt die Zeit. Im Moment fehlt uns sogar die Zeit, überhaupt Musik zu hören.
Zotti: Ja, wir machen mehr Musik als wir hören, trotz fetter Plattensammlung.

Was sind eure musikalischen Einflüsse oder Vorbilder? Ich meine Anklänge von den DEAD KENNEDYS bei euch herauszuhören.
Sharou: Du hast es gerade gesagt, und es gibt ja kein geileres Kompliment als die DEAD KENNEDYS.
Zotti: Wir hatten uns mal darüber unterhalten, welches eigentlich die Bands sind, die wir alle verehren. Es sind: OFF, DEAD KENNEDYS, HANS-A-PLAST, DEAN DIRG und NOMEANSNO. Das beschreibt unsere Einflüsse ganz gut, glaube ich. Unsere Lyrics, das muss man schon sagen, sind zwar oft politisch, allerdings nicht unbedingt super deep und mehrschichtig. Wir sind schon eher auf Parole oder auch mal kryptisch, aber nicht studentenmäßig kryptisch unterwegs.
Sharou: Mir rutscht auf der Bühne auch schon mal etwas eher Stumpfes raus, aber das gehört ja irgendwie dazu.

Kommen wir zur „Against A Wall“ -EP. Welche Themen beschäftigen euch konkret?
Sharou: Faschismus, Kapitalismus, Klimakrise und Ellenbogengesellschaft sind Dinge, die uns bewegen und die wir in unseren Texten behandeln. Ein Gefühl von Panik, Ohnmacht und Paranoia angesichts der vielen Krisen zieht sich durch unsere Musik, könnte man noch sagen. Ich glaube, dass das aber nur zum Teil auch von uns beabsichtigt ist. Das kommt eher ganz intuitiv.
Zotti: Als wir die EP gemacht haben, gab es den aktuellen Krieg zwischen Israel und der Hamas noch nicht. Der Krieg gegen die Ukraine war natürlich schon präsent und mit „Bombe Atomique“ nehmen wir darauf auch Bezug. Unser Hauptthema ist aber der anhaltende Rechtsruck in der Gesellschaft. Unsere Songs sind meistens aus Wut und spontan geschrieben und nicht lange geplant. Wir vermitteln wohl keinen Optimismus, kein „Das wird schon wieder“-Gefühl. Was sollen wir auch groß von Revolution singen, wenn es eher darum geht, seinen eigenen Arsch retten zu müssen und die Menschen um einen herum?

Wie fällt die Resonanz auf die EP bisher aus?
Zotti: Bis jetzt ganz gut. Es gab diverse Reviews, die durchweg positiv ausgefallen sind. Vinyl und Tapes verkaufen sich gut. Die Release-Show in Münster wurde sehr gut angenommen. Es war eines der Konzerte mit der wildesten Publikumsreaktion, um es mal so zu sagen. Das ist eine schöne Bestätigung für die viele Arbeit, die in einer solchen Veröffentlichung steckt, über die wir uns freuen.
Sharou: Wir sind echt zufrieden. Wir hätten nie gedacht, dass es einmal so gut laufen würde. Bei einer EP weißt du ja auch nie, wie das Format überhaupt angenommen wird. Ein Album wirkt oft interessanter.

Ich habe ja die Hoffnung, dass die EP Vorbotin eines neuen Albums ist. Bitte enttäuscht mich nicht.
Sharou: Das wäre schon geil ...
Zotti: ... aber keiner von uns ist in der Lage, weit im Voraus zu planen.
Sharou: Das war bei uns auch noch nie so, dass wir ein Album lange geplant hätten. Wenn genug neue Songs fertig sind, dann machen wir eben ein Album. Weil wir dieses Mal nicht so lange warten wollten, haben wir eine EP gemacht. Wir entwickeln also keine Konzeptalben.
Zotti: Weil es schon wieder so viel Gründe für Wut und Frustration gab, haben wir seit der letzten Veröffentlichung bereits zwei neue Songs eingespielt. Wenn man also was Positives über die politische Lage sagen will, dann dass Punkbands genug Anlässe finden, neue Songs zu schreiben.

Ihr spracht von der Release-Show. Sind weitere Aktivitäten geplant?
Zotti: Wir machen gerade krankheitsbedingt eine kurze Pause, aber danach stehen wieder viele Live-Termine an. Wenn man so will, haben wir aber die Tour quasi vor der Veröffentlichung im Sommer gespielt.
Sharou: Ja, und die Termine entstehen meistens auf Zuruf und eher kurzfristig. Wir haben im letzten und in diesem Jahr sehr viel live gespielt, aber das fällt uns irgendwie in den Schoß. Es passiert ganz einfach. Wir planen das nicht, freuen uns aber über jede Anfrage. Wir waren von Leipzig über Amsterdam bis Marl unterwegs.

Entfaltet ihr neben der Band noch andere politische Aktivitäten?
Zotti: Aktuell sind wir in organisierten politischen Zusammenhängen nicht aktiv. Heute sind wir eher spontan. Aber wir sind weiterhin in unserem Netzwerk aktiv, zum Beispiel bei der Pflege des Gemeinschaftsgarten des örtlichen AZ. Das ist vielleicht nicht krass, aber superwichtig.
Sharou: Wir sind auch fleißige Demogänger. Aber es sind doch gerade die vermeintlich kleinen Dinge, die politisch wichtig sind. Wenn man es weiterdenkt, bin ich auch in meinem Beruf als Sozialarbeiterin zum Beispiel erinnerungspolitisch engagiert und mache mit unseren Jugendlichen Fahrten zu Gedenkstätten. Wir machen darüber hinaus viel politische Bildung in unserer Einrichtung. Ich habe auch einen Beitrag zum „Punk as F*ck“-Buch von Diana Ringelsiep und Ronja Schwikowski beigesteuert und hatte dazu neulich eine Lesung in Chemnitz. Da geht’s um das Thema Sexismus. Es kommt schon einiges an Aktivitäten zusammen.
Zotti: Ich war kurzzeitig mal in einem Antifa-Infocafé aktiv, aber eher am Rande. Da haben wir öffentliche Veranstaltungen durchgeführt. Mit einem Job bis acht Uhr abends und zwei Bands bleibt nicht viel Zeit für anderes. Viele von uns tanzen vielleicht im Moment wohl auch auf zu vielen Hochzeiten. Da müssen wir eben Prioritäten setzen.
Sharou: Dustin und Benni sind als Heilpädagogen und Sozialarbeiter auch entsprechend unterwegs und versuchen, im Job auf die Politisierung der Kids Einfluss zu nehmen. Grassroots gegen die Hoffnungslosigkeit pflanzen.